Wie Kinder Sprache lernen
Das erste Wort des eigenen Kindes bleibt den Eltern meist in wunderbarerer Erinnerung. ‚Mama‘ und Papa‘ – damit beginnt die Reise in eines der spannendsten Entwicklungsfelder für Kinder.
Sie lernen sich zu artikulieren, Wünsche zu äußern, Dinge zu benennen und sich selbst zu beschreiben. Wie das funktioniert und was Sie als Eltern tun können, um ihre Kinder bei diesem spannenden Prozess optimal zu unterstützen haben wir für sie recherchiert.
Wie Kinder Sprache entdecken – Artikelübersicht:
- Sprache lernen beginnt vor der Geburt
- Aaaa, grrr, lala – das erste Brabbeln
- Ich-Bewußtsein und erste Fragen
- Jedes vierte Kind hat eine Sprachstörung<
- Sprachstörung – Diagnose und Therapie
- Linktipps
Schreien können Babys von der ersten Minute an, im ersten Lebensjahr kommen die ersten Lallaute und rund um den ersten Geburtstag verstehen Eltern die ersten Worte. Meist Mama und Papa, aber auch das Benennen attraktiver Dinge ist eine Variante – oder das Kind imitiert Geräusche. Sprachentwicklung ist auf vielfältige Art möglich.
Sprache lernen beginnt vor der Geburt
Sprache wird übers Hören gelernt und somit beginnt die Sprachentwicklung schon vor der Geburt eines Babys. Die Voraussetzungen dafür sind biologisch bestimmt und schon im Mutterleib vorhanden. Rund um die 23. Schwangerschaftswoche sind Ohren und Gehirn soweit entwickelt, dass Embryos im Bauch Stimmen und Geräusche wahrnehmen können. Klarerweise hört das Ungeborenen am häufigsten die Stimme der eigenen Mutter und entsprechend reagiert das Neugeborenen auf diese Stimme am intensivsten. Doch Babys zeigen nicht nur eine deutliche Vorliebe für die mütterliche Stimme, sondern auch für die eigene ‚Muttersprache‘.
Festgestellt wurde das durch die Messung der Saugintensität. Wenn Babys die Stimme der Mutter hören, dann saugen sie intensiver; je fremder eine Sprache der eigenen Muttersprache ist, desto langsamer saugen Babys. Kinder sind also vom ersten Lebenstag an in der Lage, mit der Sprache der Anderen etwas anzufangen. Sie nehmen war, unterscheiden und reagieren auf Impulse.
Biologisch verantwortlich dafür sind verschiedene Regionen unseres Gehirns. Im Lauf der Zeit bilden sich sogenannte sprachspezifische neuronale Netzwerke heraus. Diese verzweigen sich immer weiter je mehr sprachlicher Input von der Umwelt erfolgt. Das Sprechen in unterschiedlicher Stimmlage, häufige Wiederholungen und eine ausgeprägte Sprachmelodie animieren das kindlichen Gehirn zusätzlich, die Regeln der Sprache zu verstehen.
Das kontinuierliche Zuordnen von Begriffen und Gegenständen, möglichst emotional besetzt, fördert den Aufbau und die Verbindungen zwischen Nervenzellen in verschiedenen Gehirnrealen und damit die Sprachentwicklung zusätzlich.
Die sensible Phase, innerhalb der sich sprachliche Strukturen im Gehirn besonders rasant entwickeln sind die ersten drei Lebensjahren. In diesen 36 Monaten entstehen bei entsprechendem sprachlichen Input besonders viele Verbindungen zwischen Nervenzellen und die Sprache kann sich optimal entwickeln.
Aaaa, grrr, lala – das erste Brabbeln
Bereits in den ersten Lebenswochen bemerken Eltern, dass ihre Babys nicht nur schreien, sonder auch andere Laute von sich geben. Da wird geschmatzt und gegluckst, da wird ein rrrr gerollt, ein grrr gebrummt oder ein aaaa gestöhnt. Im zweiten Lebensmonat nimmt das Baby Blickkontakt auf und variiert und moduliert mit der Stimme. Ab dem dritten Monat bilden Kinder dann bereits erste Silben, wie ‚ma‘ ‚ba‘ oder ‚la’ und die Stimmvariation wird bewusst eingesetzt um Emotionen zu äußern.
In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres kommen dann Silbenketten wie ‚lala‘ oder ‚mamama‘. Das Baby ist immer mehr in der Lage, Laute und Sprechmelodie nachzuahmen. Gegen Ende des ersten Lebensjahres versteht das Kind einzelne Worte, imitiert Lautkombinbationen und Sprachmelodie und beginnt intensiv nonverbal zu kommunizieren.
Zwischen dem 13. und 18. Lebensmonat wächst der Wortschatz auf 10 – 20 Worte, das Kind versteht einfache Anweisungen wie ‚nein‘. Ab dem 19. Lebensmonat bis zum zweiten Geburtstag werden Eigenschaften zugeordnet, Personen benannt – das berühmte erste ‚Mama‘, und die ersten kurzen Sätze mit zwei bis drei Wörtern gebildet.
Ich-Bewußtsein und erste Fragen
Ab dem dritten Lebensjahr ist ein Kind in der Lage Konsonten isoliert zu bilden. Die Worte werden deutlicher und die Sätze mit drei bis fünf Wörtern länger. Weiters bildet sich ein Bewusstsein für die eigen Person heraus und das Wort ‚ich’ wird in die Kommunikation eingebaut. Ab dem vierten Geburtstag wird Grammatikalisch richtig gesprochen, Haupt- und Nebensatz bilden Erklärungsmodelle und die Kommunikation wird reflektierter.
Ab dem Vorschuljahr werden Artikel richtig platziert und Singular und Plural korrekt unterschieden. Mit Schuleintritt hat ein gesundes Kind einen Wortschatz von rund 500 Worten und die Umgangssprache wird problemlos beherrscht.
Für die Sprachentwicklung eines Kindes spielen dessen soziale Umgebung ebenso eine Rolle wie die biologischen Voraussetzungen. Die biologische Voraussetzung ist dafür verantwortlich, ob ein Kind mit 10 oder 15 Monaten zu sprechen beginnt und sie ist wahrscheinlich kaum beeinflussbar. Die sozialen Bedingungen definieren aber, welchen Wortschatz ein Kind erwerben wird, womit klar ist, dass Sprachentwicklung sehr wohl gefördert werden kann.
Jedes vierte Kind hat eine Sprachstörung
Doch nicht immer verläuft die Entwicklung in diesen vorgegeben Bahnen. Jedes vierte Kind leidet an Sprachentwicklungsstörungen und die häufigste Entwicklungsstörung bei Kindern ist eine Beeinträchtigung bei der Sprachbildung. Es gilt hier aber zwischen ‚Sprachverständnisstörung‘ und ‚Sprechstörung‘ zu unterscheiden.
Sprechstörungen
Bei Sprechstörungen können Kinder Laute nicht richtig artikulieren – da wird also z.B. ein ‚sch‘ statt einem ‚s‘ gesprochen, oder ein ‚l‘ statt einem ‚r‘. Das gibt sich in vielen Fällen von selbst, und wenn nicht, könne Logopäden wertvolle Unterstützung und Hilfe anbieten.
Sprachverständnisstörung
Sprachverständisstörungen sind meist weniger offensichtlich, aber wesentlich massiver in ihrer Auswirkung. Erschwerend kommt hinzu, dass Eltern eine solche Störung oft erst spät wahrnehmen, da Kinder im häuslichen Umfeld meist adäquat agieren. Es scheint, als würden sie Aufforderungen richtig verstehen, und manchmal vielleicht nur etwas faul sein, doch in Wahrheit verstehen sie oft nicht was die Umwelt von ihnen will.
Solange die Kommunikation im häuslichen Rahmen stattfindet, reagieren Kinder intuitiv auf nonverbale Signale und es dauert lange, bis Eltern und Angehörige realisieren, dass eine Sprachverständnisstörung vorliegt. Oft werden entsprechende Defizite erst bei Schuleintritt wahrgenommen, in manchen Fällen gar erst bei Jugendlichen, die durch Aggressivität auffallen.
Sprachstörung – Diagnose und Therapie
Kindern mit Sprachstörung kann am besten geholfen werden, wenn die Störung möglichst früh erkannt wird. Ab einem Alter von zwei Jahren ist es möglich, therapeutisch zu arbeiten und Entwicklungsverzögerungen zu verhindern. Doch wie können Eltern herausfinden ob ihr Kind zu den ‚gesunden‘ 75% gehört oder Förderung braucht?
Zwar wird beim Neugeborneenscreening auch die Hörfähigkei getestet, aber ersten besteht die Möglichkeit, dass ein Hörverlust nachgeburtlich erfolgt und zweitens gibt es auch anderen Ursachen für Sprachenwtickungsstörungen als Taubheit. Faustregel: Wenn ein Kind mit rund 8 Monaten noch nicht auf den eignen Namen reagiert, sollte man das Gespräch mit dem Kinderarzt suchen.
Um die Sprachentwicklung möglichst früh zu fördern sollten Eltern viel Körperkontakt suchen, Geborgenheit vermitteln und mit dem Baby viel sprechen. Später ist dass Vorlesen und das Stellen von Verständnisfragen eine gute Methode um Kinder zu fordern und zu fördern. Auch Anweisungen in fremder Umgebung, möglichst ohne den Einsatz von Mimik und Gestik sind gute Methoden, um die Reaktionsfähigkeit des Kleinkindes – und damit seine Sprachfähigkeit zu testen.
Auch Fingerspiele und Reime, gemeinsames Musizieren und Singen, also die Elemente von Reim, Melodie und Rhythmus wirken sich positiv auf die Sprachentwicklung aus. Fernsehen und Computerspiele hingegen sind passive ‚Berieselung‘ ohne Interaktion und stehen der Sprachentwicklung eher im Weg als dass sie diese fördern.
Experten raten daher dazu, Kinder vor dem 5. Lebensjahr generell von Bildschirmen freizuhalten. Denn eines ist für die Sprachentwicklung essentiell: Fragen stellen können, wenn man etwas nicht versteht, und aus der Interaktion heraus Fähigkeiten entwickeln und neue Wörter lernen.
Exkurs Stottern: Stottern gehört in jedem Fall abgeklärt. Hier unterscheiden Logopäden zwischen dem sogenannten ‚Entwicklungsstottern‘, das zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr recht häufig auftritt und nach maximal einem halben Jahr wieder aufhört und ‚echtem Stottern‘. Echtes Stottern gehört therapeutisch behandelt, um eine weitere unbeeinträchtige Sprachentwicklung zu ermöglichen.
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Quelle:
¹ Schanner-Wolles C. (2005): „Wie kommt ein Kind zu seiner Sprache?“
² Sprach- und Sprechentwicklung (dbl – Deutscher Bundesverband für Logopädie e.V.)
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Linktipps
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