Österreich und seine Demenzkranken
Noch vor wenigen Jahren galt Krebs als die am meisten gefürchtete Krankheit. Das hat sich mittlerweile geändert: laut aktuellen Schätzungen leben in Österreich 115.000 bis 145.000 Menschen mit irgendeiner Form der Demenz, Tendenz stark steigend.
Laut dem österreichischen Demenzbericht von 2020 ist Demenz auf dem Vormarsch und Alzheimer eine der häufigsten Formen.
Kein Wunder also, dass viele Menschen diese Erkrankung fürchten: Auf Grund der herrschenden medizinischen Standards werden die Menschen immer älter und damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, im Laufe der zweiten Lebenshälfte an Demenz – dem Verfall der geistigen Leistungsfähigkeit – zu erkranken.
Fest steht: die österreichische Gesellschaft muss sich auf mehr Menschen mit Demenz einstellen, die auf Pflege und Betreuung angewiesen sind.
Dabei ist Demenz ist keineswegs ausschließlich eine Alterserscheinung, sondern eine Erkrankung, die typischerweise im Alter auftritt. Die Wahrscheinlichkeit, im Altersverlauf ab 65 Jahren an einer Demenz zu erkranken, beträgt für Männer 16 Prozent, für Frauen auf Grund der höheren Lebenserwartung 34,5 Prozent.
Ab dem 60. Lebensjahr verdoppelt sich die Anzahl der Betroffenen im Zeitraum von jeweils fünf Jahren. So sind zwischen drei und elf Prozent der über 65-Jährigen betroffen, jedoch bereits 25 bis 47 Prozent der über 85-Jährigen. Demenzen gelten als vermutlich teuerste Krankheitsgruppe im höheren Lebensalter.
“Die mittlere Überlebenszeit nach der Diagnose Demenz beträgt 4,2 Jahre für Männer und 5,7 Jahre für Frauen und ist zwei- bis dreifach niedriger als in der altersentsprechenden Normalbevölkerung”, sagt Univ.-Prof. Dr. Reinhold Schmidt, Präsident der Österreichischen Alzheimer Gesellschaft.
“Altern ist zu einer sozialen Herausforderung geworden. Angesichts des demographischen Umbruchs werden geriatrische Erkrankungen die Sozial- und Gesundheitssysteme erheblich fordern”, so Univ.-Prof. Dr. Anita Rieder, Präsidentin des Vereins “Altern mit Zukunft” (AmZ).
Was ist Demenz?
Demenz ist ein Muster von Symptomen unterschiedlicher Erkrankungen, deren Hauptmerkmal eine anhaltende oder fortschreitende Beeinträchtigung des Gedächtnisses, des Denkens oder anderer Hirnleistungen ist. Der Begriff leitet sich vom Lateinischen “de-mens” (de = “weg von”, mens = “geist”) ab und bedeutet sinngemäß “weg vom Geist”.
Es gibt mehr als 50 Krankheitsformen, die unter den Begriff Demenz fallen können. Die Alzheimer-Krankheit ist die häufigste Erkrankung, die zu einer Demenzsymptomatik führt.
Grundsätzlich gilt es zwei Formen zu unterscheiden, nämlich primäre und sekundäre Formen der Demenz.
Primäre Demenzen wie Alzheimer sind eigenständige Erkrankungen, bei denen nach und nach Nervenzellen im Gehirn absterben.
Sekundäre Demenzen sind Folgeerscheinungen anderer Grunderkrankungen, wie etwa Stoffwechselerkrankungen, Vitaminmangelzustände und chronische Vergiftungserscheinungen durch Alkohol oder Medikamente. Weitere Ursachen können Mangelzustände (Vitamin B12, Folsäure), Flüssigkeitsmangel, Infektionen, Intoxikationen und Schilddrüsenerkrankungen sein.
Es hat sich gezeigt, dass alle Faktoren, die zu einem Schlaganfall führen können (zum Beispiel Bluthochdruck, Diabetes oder Rauchen), auch das Risiko erhöhen.
Typische Symptome einer Demenz sind Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, optische Sinnestäuschungen (Halluzinationen), motorische Störungen, Verlangsamung, Stimmungsschwankungen und das Verlegen von Gegenständen an ungewöhnlichen Orten
Am Anfang der Krankheit sind häufig Kurzzeitgedächtnis und Merkfähigkeit gestört. Im weiteren Verlauf verschwinden auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses. Die Betroffenen verlieren so mehr und mehr die während ihres Lebens erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten
Pflege Demenzkranker ist ein 24-Stunden-Job
Die Demenz beginnt meist schleichend mit leichten Gedächtnisstörungen und führt bis zur völligen Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit. Je weiter die Krankheit fortschreitet, desto mehr nimmt die Selbständigkeit des Patienten ab.
Die Kontrollen über die Körperfunktionen gehen verloren, Essen und Trinken können nicht mehr selbständig erledigt werden. Demenzkranke brauchen daher Hilfe bei der Körperpflege und Hygiene, beim Baden, beim Toilettengang, bei der Zahnpflege, beim An- und Auskleiden etc. “Die Pflege eines Demenzkranken ist eine 24-Stunden-Betreuung. Das bedeutet, dass man den Patienten rund um die Uhr betreut und für ihn da ist.
Für den Dementen ist es wichtig, klare Strukturen und Tagesabläufe zu schaffen. Je besser das gelingt, umso mehr kann sich der Betroffene entspannen. Diese Form der Pflege muss sorgfältig geplant werden und von Anfang an müssen mehrere Menschen in den Betreuungsablauf integriert werden – leider passiert das jedoch noch nicht sehr oft”, weiß Edeltraud Bieber, Dipl. Gesundheits- und Krankenschwester, Pflegeexpertin für das Projekt “Lebenszeit” der VAMED-KMB.
“Der Schlüssel zur Betreuung Demenzkranker ist, sich auf sein Dasein einstellen zu können. Die pflegenden Personen begleiten den Kranken auf seinem Weg, so dass dieser erträglich wird und der Kranke angst- und stressfrei leben kann”, so Bieber weiter.
Hilfe für Helfer
Viele Demenzkranke haben das Glück, zu Hause von der eigenen Familie gepflegt zu werden. Dies bedeutet jedoch eine große Herausforderung für die pflegenden Angehörigen, da sie pflegerische Aufgaben leisten müssen, für die ihnen die Ausbildung fehlt.
Der Aufwand für die betroffenen Familien steigt enorm, das geht oft bis an die Grenze der physischen und psychischen Belastbarkeit. Erhöhte Anfälligkeit für seelische und körperliche Erkrankungen auf Seiten der Angehörigen ist keine seltene Folge.
“Die wöchentliche Pflegezeit, die Angehörige bei der Pflege von Patienten zu erfüllen haben, beträgt bei leichter Demenz 8,5, bei mittelschwerer Demenz 17,4 und bei schwerer Demenz sogar 41,5 Stunden. Diese Zeit wird den Pflegepersonen in keiner Form abgegolten.
Pflegepersonen von Demenzkranken sind zu einem Drittel depressiv, auch ihre Sterblichkeit ist gegenüber der Normalbevölkerung je nach Pflegeaufwand um das bis zu siebenfache erhöht”, so Schmidt. Somit verschlechtern Demenzerkrankungen nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen, sondern auch ihrer Familien dramatisch.
“Für Angehörige ist es daher ganz wichtig, sich Hilfe von Profis und Angehörigen zu suchen, denn die Pflege verwandter Demenzkranker ist eine unglaubliche emotionale und psychische Belastung. Hilfe gäbe es für Angehörige genug, man muss sie nur in Anspruch nehmen”, appelliert Bieber.
Wichtige Früherkennung
Es gibt verschiedene Tests zur Früherkennung von Demenz, darunter der DemTect-Test, der Mini-Mental-Status-Test (MMST), der MoCa-Test und der Uhrentest.
Diese Tests können jedoch nur Hinweise auf eine mögliche Demenz geben. Die Diagnose Demenz kann ausschließlich von Ärzten nach umfangreicher Untersuchung gestellt werden.
Eine andere Möglichkeit ist eine Positronen-Emissions-Tomografie (PET).
Bei der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) handelt es sich um eine molekulare Bildgebung, die sich zu einem wichtigen diagnostischen Instrument zur Abklärung von Demenz entwickelt hat.
Mit dem neuen sogenannten PET-Tracer könnte die Krankheit in Zukunft bereits diagnostiziert werden, bevor Symptome auftreten. Eine Positronenemissionstomografie (PET) ist eine Untersuchung, bei der von einer Körperregion mehrere Schichtbilder erstellt werden. Diese Methode kann etwa Patienten mit Demenz unklarer Ursache helfen.
In der Früherkennung sind grundsätzlich Hausärzte gefordert, aber auch Angehörige. In dem Moment, wo der Betroffene seltsam erscheint, sollte man mit ihm den Allgemeinmediziner aufsuchen”, so Bieber.
“Allgemeinmediziner nehmen eine bedeutende Rolle im Nahtstellenmanagement der Demenz-Therapie ein, denn gerade die Demenz-Problematik erfordert eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Fachärzten, Gedächtnisambulanzen, spezialisierten Betreuungseinrichtungen, pflegenden Personen, Psychologen und Psychotherapeuten sowie mobilen Diensten”, ergänzt Dr. Erwin Rebhandl, Präsident der ÖGAM. Auch den Patienten in fortgeschritteneren Stadien sollte die Therapie nicht vorenthalten werden. Die medikamentöse Therapie erleichtert die Pflege und kann den Aufwand, wie in klinischen Studien belegt, um bis zu 52 Stunden im Monat reduzieren.
Erste Anzeichen der Demenz sind eine Abnahme des Erinnerungsvermögens und die Fähigkeit, klar zu denken und Zusammenhänge zu erfassen. Auch Schwierigkeiten mit gewohnten Handlungen, Sprach- und Kommunikationsprobleme, räumliche und zeitliche Orientierungsprobleme, eine eingeschränkte Urteilsfähigkeit, Probleme mit dem abstrakten Denken, Liegenlassen von Gegenständen usw. kommen hinzu.
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Quelle:
Der Österreichische Patient war eine Initiative der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM) und des Vereins “Altern mit Zukunft” (AmZ), nunmehr Initiative „Altern mit Zukunft“
[Verfasst 05/2006, Update: 01/2023]
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Linktipps
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