Diagnose: chronische Migräne
Kopfschmerzen und die begleitenden Symptome machen jede Migräne-Attacke für Menschen mit chronischer Migräne zur Qual und zwar regelmäßig.
Nach gängiger Definition treten bei den Betroffenen bei einem Zeitraum von mindestens drei Monaten an 15 Tagen pro Monat (oder häufiger) Kopfschmerzen auf. Dem Leiden ist schwer beizukommen, Patienten sind oftmals von Medikamentenmissbrauch bedroht. Doch eine vorbeugende Injektion von Botox verspricht nun offenbar Linderung, wie Univ. Prof. Dr. Christian Wöber, Leiter der Kopfschmerzambulanz an der MedUni/AKH Wien im Interview erklärt.
chronische Migräne – Artikelübersicht:
Chronische Migräne
Etwa 2 % der Bevölkerung leiden weltweit an Chronischer Migräne, einer stark beeinträchtigenden neurologischen Erkrankung. Vor allem Frauen im Alter zwischen 18 und 49 Jahren sind betroffen.
Die Mehrzahl der Patienten leiden unter einer episodischen Migräne, dass heißt es kommt in unterschiedlich großen Abständen zu einzelnen abgrenzbaren Migräneattacken mit einer Dauer von einem halben bis zu drei Tagen Dauer, die Häufigkeitsmuster können dabei sehr wechselhaft sein.
Begleitsymptome sind meist Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Übelkeit und Zunahme der Schmerzen bei körperlicher Aktivität sowie dem Bedürfnis sich zurückzuziehen und auszuruhen.¹
Chronische Migräne – Interview mit Univ. Prof. Dr. Christian Wöber, Univ. Prof. Dr. Thomas Sycha und Priv. Doz. Dr. Karin Zebenholzer
Wir haben mit Univ. Prof. Dr. Christian Wöber (Leiter der Kopfschmerzambulanz MedUni/AKH Wien), Univ. Prof. Dr. Thomas Sycha (Leiter der Ambulanz für Botulinumtoxinbehandlungen MedUni/AKH Wien) und OÄ Priv. Doz. Dr. Karin Zebenholzer (Ambulanz für Botulinumtoxinbehandlungen MedUni/AKH Wien) über die Behandlungsmethoden gesprochen. Das Gespräch wurde von der MedizinMediathek www.vielgesundheit.at aufgezeichnet.
Dr. Wöber: Die chronische Migräne ist die schwerste Verlaufsform der Migräne, dabei treten über einen Zeitraum vom mindestens drei Monaten an 15 Tagen pro Monat (oder häufiger) Kopfschmerzen auf, wovon an mindestens acht Tagen Migräne besteht.
Es ist verständlich, dass dermaßen häufige Kopfschmerzen und Migräneattacken die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Hinzukommt, dass Menschen mit chronischer Migräne häufig Kopfschmerzmedikamente im Allgemeinen oder Migränemittel zu oft verwenden.
Dabei besteht das Risiko des medikamentenbedingten Kopfschmerzes. Nämlich dann, wenn Medikamente gegen Kopfschmerzen an zehn Tagen pro Monat oder häufiger über einen längeren Zeitraum genommen werden. Ein weiteres Problem ist, dass Menschen mit Migräne im Allgemeinen, mit chronische Migräne im Besonderen häufiger andere Krankheiten haben wie chronische Schmerzen, Depression, Angst oder Schlafstörungen.
Anmerkung: Um der Entstehung von chronischer Migräne vorzubeugen ist eine frühzeitige, gezielte Behandlung notwendig, die ein multidimensionales Therapiekonzept beinhaltet.
Dr. Wöber: In der Diagnose der chronischen Migräne ist das ärztliche Gespräch die wesentlichste Maßnahme. Weiters ist hilfreich, wenn die Betroffenen einen Kopfschmerzkalender führen und es ist zu entscheiden, ob weiterführende Diagnostik, insbesondere eine Magnetresonanz-Tomographie erforderlich ist. Was nun die Therapie der chronischen Migräne betrifft, so muss diese multimodal sein. Das heißt es sind unterschiedlichste Therapieansätze erforderlich: Der gesunde Lebensstil, in dem ausreichend Flüssigkeit getrunken werden, regelmäßige Malzeiten zu sich genommen, ausreichend Schlaf bestehen und Ausdauersport betrieben werden soll.
Weiters helfen Entspannungstechniken, wenn der Stress im Alltag eine Rolle spielt, Verbesserung des Schlafs, wenn es Schlafprobleme gibt, die Akupunktur oder Physiotherapie als begleitende Maßnahmen. Ganz wichtig ist aber auch die Verwendung von Medikamenten und zwar einerseits zur Therapie der akuten Attacken, diese allerdings nicht zu häufig um den medikamentenbedingten Kopfschmerz zu verhindern und andererseits Medikamente, die tagtäglich eingenommen werden müssen um die Häufigkeit der Kopfschmerzen zu verhindern.
Anmerkung: Nach neuen Erkenntnissen steht als weitere Therapie der Einsatz von Botulinumtoxin zur Verfügung.
Botox gegen chronische Migräne
Dr. Sycha: Botulinumtoxin ist ein biologisches Produkt, das von Bakterien hergestellt wird. Es ist ein Eiweiß und bewirkt im Körper, dass die Übertragung von Nerven auf den Muskel blockiert wird. Das heißt es wird die Freisetzung dieses Botenstoffes, der für die Übertragung des Nervenimpulses auf die Muskel-zu-Muskel-Kontraktion notwendig ist blockiert.
Botulinumtoxin wirkt auch schmerzlindernd, wobei der genaue Wirkmechanismus nicht ganz klar ist. Es dürften mehrere Wirkmechanismen zur Schmerzlinderung führen. Einerseits ist es die Muskuläre Entspannung, die auch schmerzlindernd wirken kann, andererseits ist es der Umstand, dass Botulinumtoxin (Botox) auch andere Stoffe, die aus Nerven freigesetzt werden blockiert und dadurch eine Nervenentzündung und eine vermehrte Nervenerregbarkeit herabsetzt.
Botulinumtoxin wird in der Neurologie seit circa 30 Jahren eingesetzt. Es besteht also schon lange Erfahrung mit diesem Präparat. Die erste Indikation war der Blinzelkrampf, der erfolgreich behandelt werden kann. Auch der halbseitige Gesichtskrampf, die Spastik nach einem Schlaganfall, aber auch andere Erkrankungen wie Vermehrtes Schwitzen, zu starker Speichelfluss oder aber auch Blasenstörungen sind Indikationen, die mit Botulinumtoxin erfolgreich behandelt werden.
Anmerkung: In einem umfangreichen Studienprogramm konnte die Wirksamkeit von Botulinumtoxin in der Therapie von chronischer Migräne nachgewiesen werden.
Dr. Wöber: Zum Einsatz von Botulinumtoxin bei der chronischen Migräne liegen umfangreiche Studien vor, die dazu geführt haben, dass Botulinumtoxin in Österreich mittlerweile zur Behandlung der chronischen Migräne zugelassen ist, allerdings von den Krankenkassen derzeit noch nicht erstattet wird. Die Anwendung von Botulinumtoxin bei der chronischer Migräne wird dann angedacht, wenn andere Behandlungsmöglichkeiten nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben. In den Studien hat sich gezeigt, dass Botulinumtoxin die Zahl der Migränetage deutlich verringert. Der Stoff verringert circa 19 Kopfschmerz-Tage um acht Tage. Die Verträglichkeit von Botulinumtoxin ist sehr gut. Es sind keine Nebenwirkungen zu erwarten, die wir bei der medikamentösen Therapie oft sehen, wie Müdigkeit, Übelkeit, Konzentrationsprobleme.
Anmerkung: Das Präparat wird an bestimmten Punkten injiziert und wirkt in etwa drei Monate.
Dr. Zebenholzer: Das Botulinumtoxin wird an 31 Stellen injiziert. Und zwar im Bereich der Stirn, der Schläfe, des Hinterkopfes und der Schultermuskulatur, wobei sich die Auswahl der Stellen auf die Erkenntnisse der Zulassungsstudie stützt. Die Wirkung setzt etwa nach einigen Tagen oder zwei Wochen ein, das heißt es besteht eine Verzögerung bis zum Wirkeintritt. Die Wirkung hält dann etwa drei bis sechs Monate an. Das heißt die Behandlung wird in drei bis sechsmonatigen Abständen wiederholt.
Anmerkung: Je früher sich Betroffene einem Spezialisten vorstellen, desto eher kann ihnen mit einer entsprechenden Therapie geholfen werden.
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Quellen:
¹ Migräne und Kopfschmerzklinik Königstein
² Kopfschmerzambulanz der Univ.-Klinik für Neurologie MedUni Wien | AKH
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Linktipps
– Migräne | Krankheitslexikon
– Kopfschmerzen | Krankheitslexikon
– Wenn Kinder unter Migräne leiden
– Neurologie was ist das?
– Botox: Nervengift für die Schönheit?
– Botox gegen Migräne: hilfreich, aber nur ein wenig (www.medizin-transparent.at)