Was ist Osteopathie? – Eine kritische Betrachtung

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Die Osteopathie ist ein komplementärmedizinisches Diagnose- und Behandlungskonzept, das zunehmend an Popularität gewinnt. Während sie in den USA als Bestandteil einer umfassenden medizinischen Ausbildung integriert ist, wird sie in Europa primär als alternativmedizinische Methode praktiziert.
Doch wie fundiert ist diese Therapieform? Welche Vorteile bietet sie, und wo sind ihre Grenzen? Dieser Artikel bietet eine detaillierte und kritische Betrachtung.
Historische Entwicklung und Grundprinzipien
Die Osteopathie wurde im späten 19. Jahrhundert vom US-amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still (1828–1917) entwickelt. Still vertrat die Überzeugung, dass Bewegungseinschränkungen in Gelenken, Faszien und Organen zahlreiche gesundheitliche Beschwerden verursachen können. Seine Methode basierte auf dem Prinzip, dass die Wiederherstellung der Beweglichkeit die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert.
Während in den USA Osteopathie Teil der wissenschaftlich fundierten medizinischen Ausbildung zum “Doctor of Osteopathic Medicine” ist, wird sie in Europa als eigenständige manuelle Therapie praktiziert. Sie gliedert sich in drei zentrale Bereiche:
1. Parietale Osteopathie – Fokus auf den Bewegungsapparat, einschließlich Muskeln, Gelenke und Bindegewebe.
2. Viszerale Osteopathie – Behandlung der inneren Organe und ihrer faszialen Verbindungen.
3. Craniosacrale Osteopathie – Sanfte manuelle Techniken zur Beeinflussung des zentralen Nervensystems über Schädel, Wirbelsäule und Kreuzbein.
Osteopathie vs. Schulmedizin
Osteopathie wird in vielen Ländern, darunter Österreich und Deutschland, als Bereich der Alternativmedizin oder Komplementärmedizin eingeordnet.
Sie gehört nicht zur klassischen Schulmedizin, da ihre Wirksamkeit für viele Anwendungsgebiete nicht ausreichend wissenschaftlich belegt ist.
- Schulmedizin basiert auf evidenzbasierten, wissenschaftlich überprüften Methoden, die durch klinische Studien nachgewiesen sind.
- Osteopathie beruht auf manuellen Techniken zur Behandlung von Funktionsstörungen des Körpers, mit dem Ziel, Selbstheilungskräfte zu aktivieren – ein Ansatz, der nicht immer wissenschaftlich nachgewiesen ist.
In den USA ist die Situation etwas anders: Doctors of Osteopathic Medicine (D.O.) absolvieren eine vollwertige medizinische Ausbildung, die der Schulmedizin entspricht, während in Europa Osteopathie oft von nicht-ärztlichen Therapeuten praktiziert wird.
Osteopathie, Physiotherapie, Chiropraktik – Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Osteopathie und Physiotherapie haben Überschneidungen, unterscheiden sich jedoch in mehreren wesentlichen Punkten:
- Physiotherapie basiert auf evidenzbasierten Methoden zur Rehabilitation nach Verletzungen oder Operationen. Sie umfasst aktive Übungen, physikalische Reize (z. B. Wärme, Kälte, Elektrotherapie) und manuelle Techniken.
- Osteopathie fokussiert sich auf die manuelle Behandlung des gesamten Körpers, um Bewegungseinschränkungen zu lösen und das Gleichgewicht der Körpersysteme zu optimieren.
Während die Physiotherapie weitgehend wissenschaftlich abgesichert ist, fehlen für viele osteopathische Behandlungsansätze belastbare empirische Nachweise.
Abgrenzung Osteopathie und Chiropraktik
Beides sind manuelle Therapieformen und befassen sich mit Funktionsstörungen des Bewegungsapparats, unterscheiden sie sich in Ansatz, Techniken und Zielsetzung.
- Osteopathie betrachtet den Körper als ganzheitliches System. Sie bezieht neben dem Bewegungsapparat auch innere Organe und das Nervensystem mit ein. Ziel ist die Verbesserung der Beweglichkeit und die Aktivierung der Selbstheilungskräfte.
- Osteopathie setzt sanfte Mobilisationen, Dehnungen und Faszien-Techniken ein.
- Osteopathie hat in manchen Bereichen positive Studienergebnisse, jedoch fehlen oft eindeutige wissenschaftliche Nachweise für viele der postulierten Wirkmechanismen.
- Chiropraktik konzentriert sich primär auf die Wirbelsäule und das Nervensystem. Fehlstellungen (sogenannte Subluxationen) sollen durch gezielte Justierungen korrigiert werden, um Nervenirritationen zu reduzieren.
- Chiropraktik arbeitet mit schnellen, kraftvollen Manipulationen (Justierungen) an der Wirbelsäule und den Gelenken, oft begleitet von einem hörbaren „Knacken“.
- Chiropraktik ist in einigen Ländern als Teil der Schulmedizin anerkannt und besser wissenschaftlich untersucht, insbesondere für Rückenschmerzen.
Wer eine sanfte, ganzheitliche Behandlung sucht, ist bei einem Osteopathen gut aufgehoben.
Wer eine gezielte, wirbelsäulenfokussierte Behandlung benötigt, könnte von der Chiropraktik profitieren.
Ablauf einer osteopathischen Behandlung
Die Erstbehandlung beginnt üblicherweise mit einer ausführlichen Anamnese. Dabei erfasst der Osteopath relevante medizinische Vorgeschichten, Beschwerden und Lebensgewohnheiten des Patienten. Es folgt eine manuelle Untersuchung zur Identifikation von Blockaden und Dysfunktionen.
Abhängig vom Befund kommen verschiedene Techniken zum Einsatz:
– Gelenkmobilisationen und Manipulationen
– Faszien- und Muskeltechniken
– Viszerale Techniken zur Verbesserung der Organbeweglichkeit
– Craniosacrale Therapie zur Beeinflussung des Nervensystems
Ist eine osteopathische Behandlung schmerzhaft?
In der Regel wird Osteopathie als sanfte Therapie beschrieben, jedoch können bestimmte Techniken – insbesondere bei Verspannungen oder myofaszialen Verklebungen – kurzfristig Schmerzen verstärken. Diese Reaktionen sind meist temporär und klingen nach wenigen Tagen ab.
Anwendungsgebiete – Wann kann Osteopathie helfen?
Osteopathie wird vor allem bei funktionellen Beschwerden eingesetzt, darunter:
- Rückenschmerzen, Ischiasprobleme und Haltungsschäden
- Gelenk- und Muskelschmerzen (z. B. Knie-, Hüft- oder Schulterschmerzen)
- Kopfschmerzen und Migräne
- Verdauungsbeschwerden
- Stressbedingte Beschwerden
- Sportverletzungen
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass Osteopathie keine bewiesene Wirkung bei schweren Erkrankungen wie Krebs, Infektionen oder Autoimmunerkrankungen hat.
Grenzen der Osteopathie – Wann ist Vorsicht geboten?
Osteopathie ist nicht immer eine geeignete Therapieform. In folgenden Fällen ist jedenfalls eine schulmedizinische Behandlung vorzuziehen:
– Akute Infektionen oder Entzündungen
– Tumorerkrankungen
– Schwere neurologische Erkrankungen
– Frakturen oder akute Traumata
– Systemische Erkrankungen mit unklarer Ursache
Patienten sollten sich von unrealistischen Heilversprechen distanzieren und Osteopathie als Ergänzung, nicht als Ersatz für etablierte medizinische Behandlungen betrachten.
Behandlungsfrequenz – Wie viele Sitzungen sind erforderlich?
Die Anzahl der benötigten Sitzungen hängt von der individuellen Symptomatik ab. In vielen Fällen sind 3–6 Sitzungen in mehrwöchigen Abständen ausreichend. Chronische Beschwerden können längere Behandlungszeiträume erfordern.
Osteopathie in Österreich – Ausbildung und Qualitätssicherung
In Österreich ist der Begriff „Osteopath“ nicht gesetzlich geschützt. Dies bedeutet, dass sich theoretisch jeder als Osteopath bezeichnen kann. Die Ausbildung erfolgt an privaten Instituten und dauert meist mehrere Jahre. Qualifizierte Osteopathen haben oft bereits eine medizinische Grundausbildung als Physiotherapeuten oder Ärzte absolviert.
Zertifizierte Fachkräfte können über den Verband der Österreichische Gesellschaft für Osteopathie (OEGO) oder der Anbieter-Organisation Wiener Schule für Osteopathie gefunden werden.
Kosten und Erstattung durch Krankenkassen
Osteopathische Behandlungen sind in Österreich meist privat zu zahlen. Die Kosten belaufen sich auf etwa 80 bis 150 Euro pro Sitzung. Einige Krankenkassen erstatten einen Teil der Kosten, sofern eine ärztliche Verordnung vorliegt.
Fazit – Ein ergänzendes Verfahren mit Einschränkungen
Osteopathie kann bei bestimmten funktionellen Beschwerden eine sinnvolle Ergänzung sein, insbesondere bei Problemen des Bewegungsapparats.
Allerdings fehlen für viele Anwendungsgebiete wissenschaftliche Belege. Patienten sollten eine kritische Haltung bewahren und sicherstellen, dass keine schwerwiegenden Erkrankungen vorliegen, die einer konventionellen medizinischen Behandlung bedürfen.
Wer sich für Osteopathie entscheidet, sollte auf eine fundierte Ausbildung des Therapeuten achten und sich nicht von überzogenen Heilversprechen leiten lassen.
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Quellen:
¹ – Heilen mit Händen (NZZ online)
² – Die Osteopathie – Deutsche Paracelsus Schulen
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[Verfasst 11/2009, Update: 02/2025]