Impfdebatte: Immunisierung in Österreich
Kaum ein Thema wird so kontroversiell geführt wie das Thema Impfen. Problematisch an der Diskussion ist, dass hier nicht bloß unterschiedliche Fachmeinungen aufeinander treffen, sondern das die Diskussion zu einer regelrechten Auseinandersetzung unterschiedlicher ideologischer Standpunkte verkommen ist.
Dabei ist die Impfdebatte tatsächlich komplex, denn es ist für Patienten kaum zu durchschauen, welche Impfungen absolut notwendig, welche sinnvoll und welche zumeist unnötig sind. Ein Umstand, der vielleicht die Impfmüdigkeit in Österreich erklärt.
Impfdebatte – Artikelübersicht:
- Hitzige Impfdebatte
- Impfstoffe als Lebensretter Nr.1
- Impfungen kritisch hinterfragen
- Impfdebatte – Linktipps
Hitzige Impfdebatte
Die Pharmaindustrie wird nicht müde zu betonen, dass Impfungen jährlich 2-3 Millionen Menschenleben retten. Dennoch nutzen die Österreicher das Impfangebot nur zaghaft, zu groß scheint das Mißtrauen in die Industrie einerseits und das gesundheitliche Risiko andererseits. Das Problem dabei: oftmals werden Entscheidungen nicht nach rationalen Gründen getroffen.
Manche Menschen fürchten, dass eine Impfung für den Körper belastender ist als die Erkrankung selbst. Und manche Bevölkerungsgruppen lehnen eine Impfung aus religiösen oder philosophischen Gründen ab.
Generell misstrauen Patienten den Auskünften der Ärzte und Apotheker, da sie oftmals allein finanzielle Interessen hinter deren Engagement vermuten. Eine Befürchtung, die hinter vorgehaltener Hand, auch von vielen Medizinern geteilt wird. Allein, es lässt sich kein allgemein gültiges Urteil zur Frage “Impfen ja oder nein” treffen, da sich die Risikobilder stark unterscheiden.
Die Impfdiskussion darf nicht zum Glaubenskrieg verkommen, oder, wie der Impfexperte DDr. Wolfgang Maurer pointiert festhält: “Die ganze Impfdiskussion ist kein Glaubenskrieg. Die Impfgegner glauben, wir (die Wissenschafter; Anm.) wissen.”
Impfstoffe als Lebensretter Nr.1
Viele Menschen zögern heute mehr denn je, sich oder ihre Kinder impfen zu lassen. Die lauten Stimmen der Impfgegner und deren Argumente haben durchaus Einfluss, wenn es um Impfen oder Nicht-Impfen geht. Die Unsicherheit und die Ängste vor Impf-Nebenwirkungen sind so groß, dass der unbestreitbare Nutzen von Impfungen subjektiv ins Abseits zu rutschen droht. Doch manche Fakten sind nicht einfach wegzuwischen.
Jährlich werden durch gezielte Immunisierungsmaßnahmen Millionen Kinder geschützt. Neben sauberem Wasser sind Impfungen die wichtigste Maßnahme in der Vorsorge und als Schutz vor Krankheiten. Keine andere Behandlungsmethode verhindert Todesfälle in dem Ausmaß wie ei-ne rechtzeitige Immunisierung – jährlich rund 2 bis 3 Millionen.
Viele Grundimmunisierungen können bereits im Kleinkindalter durchgeführt werden, so ist die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln ab dem 11. Lebensmonat möglich und wird auch im österreichischen Impfplan empfohlen. Dennoch lag die Immunisierungsrate bei Einjährigen im Jahr 2011 in Österreich bei nur 76 % – und somit unter dem durchschnittlichen Wert der euro-päischen Länder. Eine frühe Immunisierung ist oftmals sinnvoll, da speziell Kleinkinder anfällig für viele ansteckende Krankheiten sind.¹
Die Angst vieler Eltern, dass Mehrfachimpfungen ein kleines Baby überlasten würden sei unbegründet, so DDr. Maurer. Der Mediziner und Biochemiker, Facharzt für Labordiagnostik und Impfexperte an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am AKH Wien betont: “Selbst wenn man einem Menschen 100 Vakzine (Impfstoffe) gleichzeitig verabreicht, wären nur 0,1% des Immunsystems ausgelastet. Die 6-fach-lmpfung stellt für ein gesundes Baby und sein Immunsystem überhaupt kein Problem dar.
Man kann das Immunsystem durch Impfen nicht überfordern. Eine Infektion mit einem einzigen Bakterium, das das Baby sehr leicht irgendwo aufschnappt, konfrontiert den Körper mit zirka 3.000 Antigenen. Alle Impfungen des aktuellen Impfplans zusammen, samt Windpocken und Rotaviren, enthalten 200 Antigene.”
Besonders Risikogruppen, so Univ. Prof. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Medizinischen Universität Wien, profitieren von einer guten Durchimpfungsrate der Bevölkerung, dem sogenannten kollektiven Impfschutz, zusätzlich zum Individualschutz. Pharmafirmen weisen auch darauf hin, dass außerdem die Anzahl der Krankenhausaufenthalte entscheidend gesenkt werden kann – in Österreich führte etwa die Einführung der Impfung gegen Rotaviren zu einer Verminderung um bis zu 70 % bei Kindern unter 15 Jahren, bei unter Einjährigen sogar bis zu 84%.²
Impfungen kritisch hinterfragen
Bei all den unleugbaren Vorteilen, die Impfungen weltweit gebracht haben, darf nicht verschwiegen werden, dass Impfungen, wie andere medizinische Maßnahmen auch, selbstverständlich nicht gänzlich ohne Risiko sind. Zudem gilt es zwischen Lebendimpfstoffen und Totimpfstoffen zu unterscheiden.
Und natürlich muss die Industrie und ihr Handeln von einer aufgeklärten und kritischen Öffentlichkeit ständig hinterfragt werden, denn Profitsucht und Gewinnmaximierungsfantasien sind schlechte Begleiter gewissenhafter Forschungsarbeit.
Bewusstseinsbildung in der breiten Bevölkerung scheint also das Gebot der Stunde, wenn es um wirksamen Impfschutz geht. Wilhelm Sedlak, ehemaliger Impfreferent der Österreichischen Ärztekammer, könnte sich in diesem Zusammenhang eine „aggressive Impfkampagne, die jedoch von einer neutralen Seite kommen muss“ vorstellen. Genauso möchte er insbesondere die Publikumsmedien in die Pflicht nehmen und sie zu einer breiten, objektiven Berichterstattung zum Thema Impfen einladen.
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¹ Vgl. WHO Country Data Measles Immunization among one-year olds: http://apps.who.int/gho/data/view.main.80100
² Paulke-Korinek et al., Sustained low hospitalization rates after four years of rotavirus massvaccination in Austria, Vac-cine, April 2013
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Linktipps
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