Psychosoziale Beratung im Kontext gesellschaftlicher Krisen

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Psychosoziale Beratung im Kontext gesellschaftlicher Krisen

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Psychosoziale Beratung leistet Unterstützung von Menschen, die in schwierigen Zeiten, etwa einer privaten oder auch gesellschaftlichen Krise, Hilfe benötigen.


In Österreich wird Psychosoziale Beratung unter dem reglementierten Gewerbe der Lebens- und Sozialberatung ausgeübt.

Psychosoziale Beratung – Artikelübersicht:

In Abgrenzung zu anderen psychologisch intervenierenden Berufen wie der Psychotherapie und der Gesundheitspsychologie, ist es österreichischen Beratenden weder gestattet Krankheiten zu diagnostizieren, noch mit betroffenen Personen an der konkreten Heilung diagnostizierter Krankheiten zu arbeiten.

Berufsbild

Das Berufsbild der psychosozialen Beratung in Österreich umfasst verschiedene Aufgabengebiete, wie zum Beispiel die Begleitung, Betreuung und Beratung in Fragen der Berufs- und Lebensgestaltung, Familien-, Erziehungs- und Sexualberatung, Klärung von Lebenszielen, Bewahrung von Gesundheit und Zufriedenheit, Bewältigung von Krisen- und Übergangssituationen und vieles mehr.

Die Ausbildung in professioneller psychosozialer Beratungskompetenz dient als Erweiterung für Berater, die in den Bereichen Gesundheit und Soziales, Erziehung und Familie, Bildung und Beruf, Arbeit und Wirtschaft sowie Integration und Diversity tätig sind.

Die psychosoziale Beratung umfasst auch die Früherkennung von psychischen Belastungen, die Vermittlung von passgenauen psychosozialen Hilfen und die Verbesserung der Information, Aufmerksamkeit, Prävention und Vernetzung in verschiedenen Bereichen.

Der Beratungsberuf ist hierzulande gesundheitsorientiert ausgelegt: Beratende erarbeiten mit Menschen in Problemlagen Strategien, um deren Gesundheit zu stärken und langfristig zu erhalten.

Entgegen krankheitsorientierten Behandlungswegen (Pathogenese) werden gesundheitsorientierte Präventionsstrategien (Salutogenese) fokussiert. Dabei wird ein großer Fokus auf die Resilienz und Ressourcen der Klientel gelegt.

Doch kann die psychosoziale Gesundheitsvorsorge noch weiter gedacht werden?

In der beratungswissenschaftlichen Landschaft Deutschlands erscheinen seit Jahren Beiträge, in denen der Beratung als Profession ein gesellschaftsbewusstes Potenzial zugeschrieben wird. Aufbauend auf dem soziologischen Begriff der Reflexivität (in Verbindung mit Beratung gesetzt durch den Psychologen Hans-Jürgen Seel), entwickeln sich Ideen sogenannter kontextorientierter Beratungsformate.

Mentale Gesundheit weiter gedacht

Vereinfacht gesagt, wird hier versucht neben den verhaltensbezogenen Kompetenzen von Beratung (in Österreich wären dies z.B. Kriseninterventionen, lösungsorientierte Gesprächsführungen oder psychodramatische Aufstellungsarbeit) verhältnisbezogene Kompetenzen zu ergründen.

Die Verbindung zwischen der Mikroebene individueller Belastungen und der Makroebene gesellschaftlicher Problemlagen wird bewusster Teil des Beratungsprozesses.

Durch eine Reflexion von z.B. wirtschaftlichen, bildungsbezogenen oder genderspezifischen Hintergründen, soll erkannt werden, wie es zu regelmäßigen Belastungen im Leben der Klientel kommt. Der massive Einfluss solcher gesellschaftlicher Faktoren auf die Gesundheit und somit die gesamte Lebensqualität von Menschen ist eindeutig belegt.

So laufen Personen mit weniger finanziellen Ressourcen im Leben eher Gefahr, krank zu werden und sogar auch früher zu sterben. Gleichzeitig funktioniert unsere kapitalistische Leistungsgesellschaft in vielerlei
Hinsicht danach, solche Belastungen nicht zu reduzieren, sondern sie zu verstärken.

Diese Erkenntnisse verdeutlichen den Bedarf einer kontextorientierten Beratung, auch in Österreich.

Komplexe Anforderungen, umfassendes Beratungsverständnis

Das Berufsbild der psychosozialen Beratung umfasst verschiedene Lösungsmodelle und Beratungsansätze, die darauf abzielen, Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen.

Ein integrativer Beratungsansatz wird verwendet, um individuell auf die Klienten einzugehen und sie in ihren Anliegen zu begleiten.

In Österreich beinhaltet die psychosoziale Beratung die Begleitung, Betreuung und Beratung in Fragen der Berufs- und Lebensgestaltung, Familien-, Erziehungs- und Sexualberatung, Klärung von Lebenszielen, Bewahrung von Gesundheit und Zufriedenheit, Bewältigung von Krisen- und Übergangssituationen und vieles mehr.

Die Beratungsansätze zielen darauf ab, präventiv zu wirken (also die Resilienz zu stärken), soziale Normen anzuerkennen, politische und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Krisenzeiten zu stärken.

Allerdings lässt sich auch Kritik am Konzept der Resilienz anbringen: Wird dieser Begriff unkritisch und rein verhaltensbezogen verstanden, droht die damit gemeinte Widerstandsfähigkeit von Personen, belastende gesellschaftliche Faktoren zu verharmlosen und die Verantwortung für die Lösung sozialer Missstände auf Individuen abzuwälzen.

Ungleich verteilte Privilegien werden verschleiert, wenn die darunter Leidenden lediglich lernen müssen, ihr persönliches Stresslevel zu reduzieren.

Deshalb ist es in einem kontextorientierten Beratungsverständnis sinnvoll, neben der notwendigen Vermittlung widerstandsfähiger Lebensweisen, auch ermächtigende Faktoren zu fördern.

Dies beinhaltet die Förderung von Selbstverwirklichung und die Entwicklung individueller Potentiale durch einen integrativen, lösungsorientierten und prozessorientierten Beratungsansatz.

Ermächtigende Faktoren unter dem Begriff Empowerment – zielen darauf ab, den Klienten zu ermöglichen, ihre eigenen Ressourcen zu erkennen und zu nutzen, um ihre Lebenssituation aktiv zu gestalten. Dies geschieht unter anderem durch Wertschätzung, Achtsamkeit und die Förderung der Reflexion.

Insgesamt geht es darum, den Klienten zu befähigen, ihre eigenen Ziele zu verfolgen und mit den Herausforderungen des Lebens konstruktiv umzugehen.

Empowerment

Auf Ideen von u.a. gemeindepsychologischen Kenntnissen aufbauend, wird der Begriff Empowerment ins Spiel gebracht.

Ohne eine weitreichend einheitliche Definition kann der Begriff für die Beratung vielfältig genutzt werden: Emanzipation, Solidarität und Gemeinschaftssinn sollen gefördert werden, indem vorherrschende gesellschaftliche Probleme kritisch reflektiert werden.

Durch die Erkenntnisse über soziale Missstände, kann der Klientel vermittelt werden, wie sie außerhalb ihres Privatlebens Einfluss auf ihre Umwelt nehmen kann. Dabei reichen die Beratungsmöglichkeiten von Gesprächen mit Einzelpersonen über Gruppenberatungen bis hin zu z.B. Netzwerkberatungen sozialpolitischer Gruppierungen und Vereine.

Die gesundheitsfördernde Wirkung durch erhöhte gesellschaftliche Anteilnahme und soziale Zugehörigkeit von benachteiligten Personengruppen ist wissenschaftlich durchaus erkennbar, muss in Hinsicht auf Beratung jedoch noch weitaus tiefgehender erforscht werden.

… am Beispiel Belästigungen in der Öffentlichkeit (street harassment)

Veranschaulichen lassen sich diese eher abstrakten Ideen anhand eines tagesaktuellen Problems: Alltägliche Belästigungen in der Öffentlichkeit (im englischen Sprachgebrauch „street harassment“).

Die Wissenschaft ist sich dabei einig, dass solche Belästigungen von (Cis-)Männern ausgehen und Cis-Frauen, sowie auch weitere Personen im Spektrum der FLINTA*-Personengruppe (Frauen, Lesben, intergeschlechtlich, nichtbinär, trans und agender) davon Betroffen sind. Genauso offensichtlich ist, dass diese Belästigungserfahrungen einen negativen Einfluss auf die Psyche von Betroffenen haben.

Unter solche Belästigungen fallen sämtliche Gesten, Kommentare und sonstige Handlungen, die eine Person auf offener Straße unerwünscht und ausgehend von jemand Unbekanntem erlebt.

Dieses Problem lässt sich aus Beratungssicht von zwei Seiten betrachten: Eine der wenigen und doch hilfreichen Umgangsformen, die Betroffene selbst aktiv tun können, ist über Belästigungserfahrungen zu sprechen.

In der Regel geschieht dies mit anderen Betroffenen, doch stellt die Beratung ein Gesprächsformat dar, in dem der Raum gegeben werden kann, sich über belastende Situationen in einem professionellen Setting auszutauschen.

Widersprüchliche Gefühle, Ängste und angestaute Wut, können durch die psychosoziale Auseinandersetzung eingeordnet und kontextorientiert kritisch betrachtet werden.

Auch Vernetzungsarbeit für Betroffene wird hier relevant. Das Angebot an Beratungen und Therapien wird bei diesem Thema von Betroffenen jedoch relativ wenig genutzt. Dies könnte damit erklärt werden, dass psychologische Hilfe hier nur eine nachträgliche Abhilfe im Anschluss zu bereits geschehenen Missständen darstellt.

Copingstrategien, sprich Möglichkeiten der Bewältigungen von Belästigungserfahrungen und ihren Folgen, erlernen Betroffene notgedrungen eigenständig im Laufe ihres Lebens.

Möglichkeiten der Beratung

Worin Beratung sich gemäß eines salutogenen Verständnisses präventiv engagieren sollte ist psychosoziale Aufklärung.

Es sollte der Beratung neben der auffangenden Arbeit mit Betroffenen vor allem ein Anliegen sein, öffentlich Position zu beziehen und mit verantwortlichen Männern zu arbeiten.

Mit dem Wissen über die Gefahren und Folgen von alltäglichen Belästigungen in der Öffentlichkeit, können Beratende mit Expertise Empowerment im Sinne gesellschaftlicher Aufklärung fördern, vorherrschende Männlichkeitsbilder hinterfragen und in männlichkeitskritischen Beratungsformaten auch an der Wurzel des Problems ansetzen.

Genderkompetenz ist bereits seit Jahren eine ausgewiesene Fertigkeit, die in Beratungs- und Coachingformaten gefordert und ergründet wird.

Die Reflexion über soziale Normen in Hinblick auf Gender und Sexualität braucht es in einer aufgeschlossenen Gesellschaft dringender als je zuvor. Es bieten sich einige klassische Methoden der psychosozialen Beratung dafür an, öffentliche Belästigungen und weitere soziale Missstände zu thematisieren.

Der sokratische Dialog ist zum Beispiel eine Gesprächstechnik, um Gefühls- und Verhaltensmuster kritisch zu reflektieren. Dies schließt sozialkritische Betrachtungen über die Gesellschaft nicht aus.

Auch Aufstellungen nach dem Konzept von Jakob Levy Morenos Psychodrama werden in den letzten Jahren vermehrt dazu genutzt nicht nur persönliche Konflikte und Lebensrollen zu ergründen, sondern auch sozialpolitische Themen auf geschützten Bühnen darzustellen.

So können psychosoziale Erkenntnisse und Perspektivenwechsel im Sinne politischer Figuren oder auch gesellschaftlichen Normen ergründet werden.

Fazit

Um gegen zukünftige gesellschaftliche Krisen gewappnet zu sein, brauchen gesundheitsfördernde Berufe Ressourcen zur Ergründung neuer Ansätze.

Oben genannte Ideen müssen durch empirische Daten fundiert, modifiziert und tiefer ergründet werden. Theoretische und praktische Erkenntnisse werden uns helfen, psychosoziale Expertise für das Wohl von Individuen im Kleinen und der Gesellschaft im Großen einzusetzen.

[Simon Hilmar]

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Quellen & Informationen:

¹ Masten, A. S. (2016). Resilienz: Modelle, Fakten & Neurobiologie: Das ganz normale Wunder entschlüsselt. Junfermann Verlag GmbH.
² Resilienz als positive Kraft (ETH Zürich)
³ Wie Gesundheit und Resilienz zusammenhängen (Uni Basel)

Das Beratungsservice des Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen hilft rasch und kompetent. Psychnet ist das Online-Informationssystem für psychologische Dienstleistungen des Berufsverbands

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