Was ist eine Posttraumatische Belastungsstörung?
Bei der Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes. Dazu gehören beispielsweise Kampfhandlungen, Opfer von Gewalt, schwere Unfälle und von Menschen verursachte Katastrophen. Sie stellt einen Versuch des Organismus dar, eine mögliche Existenzbedrohung zu überstehen.
Was ist eine Posttraumatische Belastungsstörung – Artikelübersicht:
- Ursachen – traumatische Erlebnisse
- Symptome
- Häufigkeit
- Diagnose
- Behandlungsansätze
- Heilungschancen
- Linktipps
Wir sprachen mit Prim. Dr. Christiane Handl, Mag. Renate Lipp und DI Judith Nannt vom Lebens.Resort Ottenschlag über Ursachen, Häufigkeit, Diagnose und Therapiemöglichkeiten der Posttraumatischen Belastungsstörung (Abkürzung PTBS; englisch: posttraumatic stress disorder).
Ursachen – traumatische Erlebnisse
Eine PTBS entsteht weder aufgrund einer erhöhten psychischen Labilität, noch ist sie Ausdruck einer (psychischen) Erkrankung. So können auch psychisch gesunde und gefestigte Menschen eine PTBS entwickeln.
Die Erlebnisse können von der Dauer variieren (kurz oder langanhaltend), wobei die Betroffenen dabei Gefühle wie Angst und Schutzlosigkeit erleben und in Ermangelung ihrer subjektiven Bewältigungsmöglichkeiten Hilflosigkeit und Kontrollverlust empfinden.
Mögliche Auslöser einer Posttraumatische Belastungsstörung sind:
• Kriege, Vertreibung, Flucht, Terroranschläge
• Individuelle Gewalterfahrungen (Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, …)
• Unfälle
• Naturkatastrophen (Überschwemmungen, Lawinen, Erdbeben,…)
• Menschlich verursachte Katastrophen (Brände, Explosionen, Flugzeugabstürze, Zugskollisionen, …)
• Schwere Erkrankung (Herzinfarkt, Krebs, notfallmedizinische Maßnahmen,…)
Symptome
Man kann vier Bereiche nennen die typischerweise für eine anhaltende Belastung nach einem traumatischen Erlebnis gelten und bei der eine Traumatherapie im engeren Sinne erwogen werden sollte:
1. Intrusionen/Flashbacks: das Wiedererleben eines Traumas in Bildern, Gedanken und Träumen
2. Vermeidung: alles wird vermieden was an das Trauma erinnern kann
3. Latente Übererregung/Hypervigilanz: äußert sich in Schlafstörungen, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, motorischer Unruhe, Konzentrationsstörungen
4. Taubheit: empfinden von Betäubtsein, Gleichgültigkeit betreffend Gefühle, Interessen und Menschen, Beeinträchtigung der Affekte sprich Depression
Um die Diagnose nach ICD 10 stellen zu können müssen sich Symptomkriterium 1 und 2 erfüllen und fakultativ 3 oder 4.
Weiters sehr bedeutende Symptomkriterien sind dissoziative Zustände, die mit der Unfähigkeit einhergehen sich an Aspekte der Belastung zu erinnern (Amnesie) jedoch noch weit mehr sein können, wie Depersonalisationserleben oder Derealisationserleben, im weitesten Sinne eine Desintegration psychischer Funktionen.
Im Bereich der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung greift man auf die Symptomkriterien der Diagnose DESNOS im DSM V zu finden zurück, diese wird im amerikanischen Sprachraum oft gleichgesetzt für die komplexe PTBS.
1. Veränderungen in der Emotionsregulation und Impulskontrolle
2. Veränderungen in Aufmerksamkeit und Bewusstsein
3. Veränderungen der Selbstwahrnehmung
4. Veränderungen in Beziehungen zu Anderen
5. Somatisierung
6. Veränderungen von Lebenseinstellungen
Häufigkeit der posttraumatischen Belastungsstörung
Es gilt zu unterscheiden, in welcher Häufigkeit es zu traumatischen Erlebnissen im Laufe der Lebensgeschichte kommt und wie häufig sich hieraus eine posttraumatische Belastungsstörung im engeren Sinne entwickelt. Wir dürfen davon ausgehen, dass 50-90 % aller Menschen in ihrem Leben eine traumatisierende Situation erleben. Die Häufigkeit variiert so stark, da viele Faktoren einen Einfluss nehmen – sind wir z. B. in einer exponierten Situation wie z. B. in einem Kriegsgebiet oder in der Ausübung eines riskanten Berufes.
Von diesen Betroffenen entwickeln lediglich 10 % eine posttraumatische Belastungsstörung. Deutlich wird hierbei, dass sehr viele Schutzfaktoren die Entwicklung einer posttraumatischen Symptomatik verhindern. Frauen sind doppelt so häufig betroffen als Männer, beteiligt ist hierbei, dass Frauen sehr häufige traumatische Erlebnisse haben, in erster Linie sexuelle Übergriffe.
Diagnose, Differentialdiagnose, Probleme bei Klassifizierung/Abgrenzung (Borderline)
Die Diagnose richtet sich nach den Kriterien, die in den aktuellen Diagnosemanualen vorhanden sind, dies ist im deutschsprachigen Raum der ICD-10 und alsbald ICD-11.
Im amerikanischen Sprachraum ist die DSM-Diagnostik verbindlich. Zwischen diesen Diagnosemanualen gibt es Unterschiede. Im ICD ist festgehalten, dass eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden kann, wenn sie innerhalb von 6 Monaten nach einem belastenden Ereignis auftritt.
Typische Symptome sind die sich aufdrängenden Erinnerungen an das Ereignis, meist in Form von bildhaften Erinnerungen (Flashbacks). Es kommt zudem zu Schreckhaftigkeit und Schlafstörungen. Weiters beschrieben wird ein Gefühl von Betäubtsein bis hin zu emotionaler Stumpfheit und Gleichgültigkeit. Des Weiteren tritt ein Vermeidungsverhalten auf im Hinblick auf Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten.
Schwierigkeiten in der Unterscheidung anderer Störungsbilder (Diffenzialdiagnose) bestehen zu depressiven Erkrankungen, Angsterkrankungen. Nicht wenige Traumafolgestörungen erfüllen nicht all die genannten Kriterien und sind mit den bestehenden Diagnosemanualen erschwert einzuordnen. Im ICD-10 scheint der Begriff der komplexen Traumafolgestörung nicht auf.
Zu unterscheiden ist auch bei langanhaltender Symptomatik eine Veränderung auf der Persönlichkeitsebene, die einer eigenen Diagnose bedarf. Es handelt sich hierbei um chronifizierte Störungen nach langen extremen Belastungen.
Die Abgrenzung zur sogenannten Borderline-Störung ist wichtig , es bestehen einige Ähnlichkeiten in der Symptomatik. Festzuhalten ist auch, dass viele Menschen, die an Borderline-Störungen leiden, in ihrer Vergangenheit massive Traumatisierungen durchlebt haben.
Behandlungsansätze (Psychotherapie, Pharmakotherapie)
In der Traumtherapie gehen wir von einem 3 Phasenmodell aus
1. Stabilisierungsphase: Schaffen von Stabilität durch weitgehende tiefgreifende Ressourcenarbeit, Implantieren von Skills zur Emotionsregulation etc. (nimmt zeitlich den größten Teil ein)
2. Traumakonfrontationsphase: spezifische psychotherapeutische Ansätze die darauf abzielen das Trauma zu vervollständigen, denn durch die traumaspezifische neurobiologische Verarbeitung werden Abfolgen in der Verbindung Amygdala -Hypocampus unterbrochen (Kann notwendig sein, oft kann auch die Stabilisierungsphase als ausreichend empfunden werden)
3. Integrationsphase: Trauma kann als Geschehen akzeptiert werden und in die Lebensgeschichte integriert werden
Es bedarf eines gezielten Traumatherapieangebotes welches eingebettet ist in einem vertrauensvollen Beziehungskontext der Sicherheit und den notwendigen Halt vermitteln kann. Der stimmige vertrauensvolle Beziehungskontext sollte immer am Anfang geprüft werden, bevor es in eine gezielte Bearbeitung geht, die immer von Selbstbestimmung und Kontrolle bestimmt sein sollte.
An den Anfängen der Traumatherapien standen verhaltenstherapeutisch gestützte Expositionsbehandlungen, die den Klienten mit all den Dingen konfrontieren die an das Trauma erinnern, gemäß dem, das Vermeidung die Angst nur fördern kann. Methodenansätze die eingesetzt wurden: die systematische Desensibilisierung oder die Prolongierte Exposition. Viele Patienten können diese Form der Konfrontation kaum ertragen, zudem führt dies häufig zu einer Verstärkung der Belastungserscheinungen.
Einige bekannte Traumatherapieansätze im deutschsprachigen Raum (kein Anspruch auf Vollständigkeit):
• Tiefenpsychologisch orientiert: PITT, MPTT
• Verhaltenstherapie: STAIR, DBT
• Körperorientierte Ansatz: Somatic Experiencing, Sensorymotor Psychotherapie,
• Mischmethoden: EMDR, Brainspotting, Ego State Therapie, NARM, Traumatherapie nach Gallo
• Komplementärmethoden. Traumasensibles Yoga, Achtsamkeitsübungen, Atemübungen, TRE
Die Pharmakotherapie spielt bei der Behandlung der posttraumatischen Störung eine sekundäre Rolle – die Primärtherapie liegt sehr klar im Bereich der Psychotherapie.
Von pharmakologischer Seite kann je nach Symptomatik die Unterstützung mit einem Antidepressivum sinnvoll sein, hier liegen gute Ergebnisse für eine Reihe von Präparaten aus der Reihe der Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer vor. Auch der Einsatz von älteren Antidepressiva kann hilfreich sein. Die Gabe von Beruhigungsmitteln im Sinne von Benzodiazepinen ist häufig wenig wirksam und aufgrund der Abhängigkeitsgefahr nicht anstrebenswert.
Bei dissoziativen Zuständen (es handelt sich hier um eine komplexe Symptomatik, die viele Menschen mit Traumatisierungen erleben (diese kann einhergehen mit Gefühlen von Neben-sich-zu-stehen, Sich-wie-von-außen-wahrzunehmen, unter Umständen auch Stimmenhören), bewähren sich einige spezifische Medikamente wie z. B. Clonidin oder auch Revia.
Akutbehandlung
In der Akutbehandlung steht die Ressourcenarbeit und Stabilisierung im Vordergrund. Den Betroffenen wird ermöglicht über das Erlebte zu sprechen und je nach dem Auslöser der Belastung auch Fakten zu erfragen.
Obwohl es nur schwer zu untersuchen ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Akutbetreuung nach einem belastenden Ereignis die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer PTBS reduziert.
Heilungschancen
Neben einer traumafokussierenden Psychotherapie und der erforderlichen medikamentösen Unterstützung spielen sogenannte protektive Faktoren eine Rolle, hier eine Aufzählung der wichtigsten Schutzfaktoren:
Beziehungsfaktoren mit sicheren, zuverlässigen Bindungsverhalten bei: primäre Bezugspersonen wie sekundäre, Familie, Gruppen, soziale Umfeld: dies vermittelt Zuwendung – Interesse – Verfügbarkeit/Verlässlichkeit – Unterstützung – Zuneigung – Wertschätzung, dies schafft Zugehörigkeit, Identifizierung, Vertrauen, Verbundenheit
Persönlichkeitsfaktoren, persönliche Eigenschaften: Intelligenz/Talente, Offenheit gegenüber Neues, robustes – aktives – kontaktfreudiges Temperament, Humor, Kreativität, Flexibilität
Kohärentes Weltbild = Dinge könne sich zum Guten wenden, dies vermittelt den Faktor Hoffnung
Zugang zu einer Form von Ethik/Werte/Glauben
Allgemeine kommunikative Fähigkeiten
Positive Erfahrung im Allgemeinen
Kompetenzen/Fähigkeiten: Offenheit; Impulskontrolle, Frustrationstoleranz, Problemlösungsfähigkeiten
Schützende Faktoren die stark machen sind erlernbar und können in der Therapie bewusst gefördert werden. In wie weit es zu einer Verarbeitung des Traumas kommen kann ist damit multifaktoriell und hängt auch davon ab wie unmittelbar ein hilfreiches Angebot greifen kann (je unmittelbarer umso besser) und auf welche persönliche Resilienz zurückgegriffen werden kann.
Eine Prognose in dem Sinne kann also nicht gegeben werden. Eine Traum gilt dann als gut integriert, wenn die Erinnerung daran nicht mehr emotional belastet, im Sinne, es ist ein Teil meines Lebens und ich habe diesen überlebt und konnte daran wachsen, dann spricht man auch von posttraumtischem Wachstum.
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Quellen & Autoren:
¹ Prim. Dr. Christiane Handl (Ärztliche Leiterin des Fachbereiches Rehabilitation psychischer Erkrankungen im Lebens.Resort Ottenschlag)
Mag. Renate Lipp (Klinische und Gesundheitspsychologin im Lebens.Resort Ottenschlag)
DI Judith Nannt (Psychotherapeutin im Lebens.Resort Ottenschlag)
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Linktipps
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