Kunsttherapie: Kunst und Kreativität als Medizin

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Kunst als Medizin | Bild von Kave Atefie - kave.at

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Auf den ersten Blick haben Kunst und Medizin nicht viel gemeinsam. Kreativität, Freigeist und Experimentierfreude treffen auf Präzision, naturwissenschaftliches Fachwissen und Verantwortung für Menschenleben.


Doch beide Welten ergänzen einander auf erstaunliche Weise.

Kunst als Medizin – Artikelübersicht:

Die Kunsttherapie ist eine psychotherapeutische Methode, die kreative Prozesse nutzt, um emotionale, soziale und kognitive Funktionen zu fördern.

Sie wird in verschiedenen klinischen und nicht-klinischen Kontexten angewendet und bietet eine non-verbale Alternative zur traditionellen Gesprächstherapie.

Entstehung

Medizin umfasst nicht notwendigerweise ausschließliche rationale Naturwissenschaft, sondern kann auch die Kunst des Heilens insgesamt einschließen.

Und die bildende Kunst wiederum hat sich im Laufe der Jahre als wertvolle Therapieform bewährt. Und so ist es wenig erstaunlich, dass manch berühmter Schriftsteller wie Gottfried Benn oder der Maler Carl Gustav Carus nicht nur Künstler, sondern zugleich auch Mediziner gewesen sind.

Die Kunsttherapie hat sich aus einem breiten Spektrum an psychologischen, künstlerischen und pädagogischen Strömungen entwickelt. Sie ist heute eine anerkannte therapeutische Disziplin, die sowohl in der klinischen Praxis als auch in der präventiven Arbeit und Selbsthilfe breit angewendet wird.

Künstler und Mediziner befassen sich mit dem Körper und der Psyche des Menschen. Auch ein ausgebildeter Künstler kennt die Anatomie des Menschen sehr genau und Ärzte der Antike schulten sich an den griechischen und römischen Skulpturen, lange bevor das Sezieren als Form des Körperstudiums zu einer gebräuchlichen Methode wurde.

Die anatomischen Studien Leonardo da Vincis im 15. Jahrhundert etwa, dienten maßgeblich der Entwicklung der Medizin.

Die Wurzeln der Kunsttherapie lassen sich auf die frühen psychologischen Theorien des 19. Jahrhunderts zurückführen. In psychiatrischen Anstalten des 19. Jahrhunderts begann man, Kunstwerke von Patienten zu sammeln und zu studieren. Diese Werke wurden oft als Fenster in das Unterbewusstsein der Patienten betrachtet.

Vor allem Sigmund Freud und Carl Gustav Jung beeinflussten das Konzept. Freud erkannte die Bedeutung des Unbewussten und das Potenzial von Träumen und Bildern für die Therapie. Jung wiederum arbeitete intensiv mit Symbolen und Archetypen und betrachtete Kunst als Weg, das Unbewusste zu erschließen.

Die eigentliche Entwicklung der Kunsttherapie begann in dieser Zeit. In Großbritannien und den USA arbeiteten Künstler und Psychologen zusammen, um Kunst als therapeutisches Werkzeug zu erforschen.

In den USA war Margaret Naumburg eine der ersten, die Kunsttherapie systematisch als Therapieform einsetzte. Sie gilt als eine der Gründerinnen der modernen Kunsttherapie und bezeichnete diesen Ansatz als “dynamisch-orientierte Kunsttherapie”, die stark auf Freuds Psychoanalyse aufbaute.

1942 prägte der britische Künstler Adrian Hill den Begriff „Art Therapy“. Er erkannte während seiner Tuberkulosebehandlung, dass Malen ihm half, mit der Krankheit umzugehen, und förderte die Idee, dass Kunst ein Mittel zur Heilung sein kann.

Edith Kramer, eine österreichische Emigrantin in den USA, trug ebenfalls wesentlich zur Entwicklung der Kunsttherapie bei. Sie entwickelte den Ansatz der „Kunst als Therapie“, bei dem der kreative Prozess selbst als heilend betrachtet wird, unabhängig von der psychologischen Interpretation des Kunstwerks.

In den 1960er und 1970er Jahren wurden in vielen Ländern Berufsverbände für Kunsttherapeuten gegründet, z.B. die American Art Therapy Association (1969).

In den späten 20. Jahrhundert wurden akademische Programme entwickelt, in vielen Ländern Studiengänge und Zertifizierungsprogramme für Kunsttherapie eingerichtet, um die Professionalisierung des Feldes weiter voranzutreiben.

Kunst und Kreativität als Medizin für die Sinne

Genauso wie Musik kann sich auch Kunst als therapeutisch wirksam erweisen.

Viele Symptome lassen sich durch das Betrachten von Bildern zumindest temporär lindern. Kunst kann Emotionen hervorrufen, die den Stresslevel senken und einen positiven Einfluss auf die Gesundheit haben.

Eine angenehme Farb- und Motivwahl und eine harmonische Komposition rufen beim Betrachter bestimmte Assoziationen hervor und können beruhigen, anregen, oder fröhlich und glücklich stimmen.

Ein Besuch im Lieblingsmuseum oder in einer Ausstellung kann das Glückshormon Serotonin freisetzen und Entspannung fördern. Dass optische Reize wie das Betrachten von Bildern eine positive Wirkung auf die Gesundheit haben können, hat eine klinische Studie bestätigt.

Die Forscher fanden heraus, dass besonders der Anblick von Fotos mit Angehörigen die Schmerzen der Patienten lindern kann.¹

Wer den positiven Effekt der Bilder auf das Wohlbefinden ausprobieren will, muss heute keineswegs mehr auf Originale zurückgreifen. Professionelle Reproduktion von Kunstwerken oder auch der eigenen Fotos können mittlerweile bequem in höchster Qualität im Großformat ausgedruckt werden. Online-Anbieter wie Whitewall o.ä. geben auch privaten Fotos eine kunstvolle Galerie-Qualität.²

Wissenschaftliche Fundierung: Kunsttherapie als sanfte Heilmethode

Nicht nur die Betrachtung eines Bildes kann entspannend oder belebend wirken. Die aktive Beschäftigung mit der Kunst hat sich in den letzten Jahren als eine wirkungsvolle und sanfte Therapieform bewährt.

Kunsttherapie basiert auf der Annahme, dass der kreative Ausdruck therapeutische Vorteile bietet. Studien haben gezeigt, dass Kunsttherapie Stress reduzieren, das Selbstwertgefühl steigern und die emotionale Resilienz fördern kann. Sie wird als ergänzende Therapieform in vielen psychiatrischen und medizinischen Einrichtungen anerkannt.

Kunsttherapie existiert an vielen Universitäten als wissenschaftliche Disziplin, die sich an den tiefenpsychologischen und verhaltenstherapeutischen Ansätzen orientiert. In der Therapie können die Patienten mithilfe von Materialien der Bildenden Kunst die inneren Prozesse sichtbar machen.

Die Kunsttherapie zählt zu den psychodynamischen Therapieformen mit dem Ziel der Persönlichkeitsbildung und Gesundheitsförderung. Anwendung findet Kunsttherapie in der Psychosomatik, der psychosozialen Therapiepraxis und der Bearbeitung von Traumata. Sie ist eine noch junge Therapieform, die sich hauptsächlich Medien der bildenden Kunst bedient. Dazu zählen Grafiken und Malereien ebenso wie plastisch-skulpturale Medien und Fotoarbeiten.

Die Kunstrichtungen der Moderne wie der Expressionismus und der Surrealismus haben sich bereits im 20. Jahrhundert mit dem Unbewussten des Menschen und dessen Ausdrucksmöglichkeiten in Form von Kunst beschäftigt. Durch gestalterische Prozesse können Patienten die Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung der Umwelt positiv verändern, mehr Lebensfreude gewinnen und Heilungsprozesse beschleunigen.

Da, wo das gesprochene Wort keine Verbesserung bringt, kann die Kunsttherapie helfen, ist unter anderem der österreichische Fachverband für Kunst- und Gestaltungstherapie überzeugt. Neben der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – vor allem in pädagogischen Zusammenhängen -, ist die kunsttherapeutische Arbeit mit alten Menschen und in der klinischen und ambulanten Praxis mit Krebspatienten mittlerweile etabliert.

Konzepte der Kunsttherapie

Die wissenschaftliche Fundierung der Kunsttherapie basiert auf der Annahme, dass der kreative Prozess therapeutische Vorteile bietet. Zahlreiche Studien und klinische Berichte unterstützen die Wirksamkeit der Kunsttherapie in verschiedenen therapeutischen Kontexten.

  • Prozess vs. Produkt: In der Kunsttherapie wird oft mehr Wert auf den kreativen Prozess als auf das fertige Kunstwerk gelegt. Der Prozess des Schaffens ermöglicht es den Patienten, Gefühle auszudrücken und zu verarbeiten, die schwer in Worte zu fassen sind.
  • Symbolische Kommunikation: Kunstwerke werden als Ausdruck des Unbewussten betrachtet und können symbolisch interpretiert werden. Dies ermöglicht tiefere Einblicke in emotionale und psychische Zustände.
  • Nicht-direktive Methode: Viele Kunsttherapeuten arbeiten nicht-direktiv, das heißt, sie geben keine festen Aufgaben vor, sondern ermutigen die Klienten, ihre Kreativität frei auszuleben.
  • Methoden und Ansätze

    Visuelle Kunst: In der Kunsttherapie werden häufig Malen, Zeichnen, Modellieren und andere visuelle Kunstformen eingesetzt. Diese Methoden ermöglichen es den Klienten, ihre Gedanken und Gefühle auszudrücken, ohne auf Sprache angewiesen zu sein.

    Kreativer Prozess: Der kreative Prozess selbst steht im Mittelpunkt der Therapie. Durch das Schaffen von Kunstwerken können Klienten innere Konflikte und Probleme auf eine greifbare Weise erkunden und bearbeiten.

    Therapeutische Beziehung: Die Beziehung zwischen dem Therapeuten und dem Klienten ist entscheidend. Der Therapeut unterstützt den Klienten dabei, die symbolische Bedeutung ihrer Kunstwerke zu verstehen und in den therapeutischen Prozess zu integrieren.

    Anwendungsbereiche

    Psychische Gesundheit: Kunsttherapie wird häufig zur Behandlung von Depressionen, Angstzuständen, Traumata und anderen psychischen Gesundheitsproblemen eingesetzt. Besonders bei Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) wird Kunsttherapie eingesetzt, um traumatische Erlebnisse auf nicht-verbale Weise zu verarbeiten.

    Persönlichkeitsstörungen: Bei Borderline-Störungen oder anderen Persönlichkeitsstörungen kann Kunsttherapie dazu beitragen, Selbstwahrnehmung und emotionale Regulation zu verbessern.

    Entwicklungsstörungen: Bei Kindern mit Entwicklungsstörungen kann Kunsttherapie helfen, Kommunikationsfähigkeiten und soziale Interaktionen zu verbessern.

    Emotionale und Verhaltensprobleme: Kunsttherapie wird häufig bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt, um emotionale Probleme, Verhaltensauffälligkeiten und schulische Schwierigkeiten zu bewältigen.

    Neurologische Erkrankungen: Bei Schlaganfallpatienten oder Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer hilft Kunsttherapie, kognitive Fähigkeiten zu fördern und die emotionale Verarbeitung zu unterstützen.

    Substanzabhängigkeit: Kunsttherapie wird als Teil von Programmen zur Rehabilitation von Suchterkrankungen verwendet, um emotionale Ursachen der Sucht zu erforschen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

    Rehabilitation: In der Rehabilitation kann Kunsttherapie zur Förderung der motorischen Fähigkeiten und zur emotionalen Unterstützung beitragen.

    Lebensende und Trauerbewältigung: Kunsttherapie kann Menschen am Lebensende helfen, sich mit ihrem Tod auseinanderzusetzen, und bietet Trauernden einen Weg, ihre Gefühle auszudrücken und zu verarbeiten.

    Insgesamt bietet Kunsttherapie eine flexible und vielseitige Methode, um sowohl psychische als auch physische Herausforderungen anzugehen. Sie ermöglicht es Menschen, auf kreative und oft nonverbale Weise Heilung und persönliches Wachstum zu erfahren.

    Kunsttherapie wird heute in einer Vielzahl von Kontexten eingesetzt, darunter in der Arbeit mit traumatisierten Menschen, in der Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen, sowie in der Rehabilitation und bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

    Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Kunsttherapie positive Effekte auf das emotionale Wohlbefinden, die Selbstwahrnehmung und die Verarbeitung von Traumata haben kann.

    Die Kunsttherapie bleibt ein dynamisches Feld, das sich weiterentwickelt, während es zunehmend wissenschaftlich erforscht und in therapeutische Praxen integriert wird.

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    Quellen:

    ¹ Bilder können Schmerzen lindern (pharmazeutische-zeitung.de)
    ² Die Auswirkung der Kunsttherapie auf das körperliche und emotionale Befinden der Patienten – eine quantitative und qualitative Analyse. (D. M. Plecity; Dissertation an der Universität Ulm; 2006) doi:10.18725/OPARU-744
    ³ kunsttherapie.at

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    Linktipps

    – Die Kraft der Farben
    – Tanztherapie: Heilung durch Rhythmus?
    – Heilung mit Tanztherapie: Tanzen als Kunsttherapie
    – Musiktherapie: Möglichkeiten und Wirkungen
    – Musiktherapie – wie Klänge die Gesundheit von Kindern fördern

    [Verfasst 10/2015, Update: 07/2024]

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