Corona Pandemie – alles nur Panikmache?

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Corona Pandemie - alles nur Panikmache, oder was?

alexanderuhrin – stock.adobe.com

Seit einiger Zeit schwappt die Zahl jener, die sich von Politikern und medialer Berichterstattung hinters Licht geführt fühlt über.


Der Pool der, nennen wir sie „Skeptiker“, umfasst längst nicht nur mehr Anhänger wirrer Verschwörungstheorien und ahnungslose Opfer von Fake News Seiten. Auch die Zahl der offensiven, manchmal gar rabiaten Impfgegner schnellt in die Höhe und umfasst (fast) alle Alters-, Bildungs- und soziale Schichten. Wie kommt das?

Corona Pandemie: alles nur Panikmache – Artikelübersicht:

Verwirrung und Erschöpfung in der Bevölkerung

1. Zunächst einmal sorgen Regierungspolitiker in einem wesentlichen Ausmaß selber für Verwirrung und Verunsicherung. So sehr forsches Handeln und zielstrebiges Auftreten am Beginn der Coronapandemie in Österreich geschätzt wurde, so sehr wenden sich immer mehr Bürger nunmehr von der Regierung ab. Der Grund: das nicht (mehr) stringente Vorgehen der politisch Verantwortlichen mit zum Teil sich wiedersprechenden Anordnungen und Bestimmungen. Zu allem Überfluss gesellt sich dazu dann auch noch föderaler Hickhack mit unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern. Bestes Beispiel: die Corona-Ampel, die eine Orientierungshilfe sein sollte und nun zur Farce verkommt.

2. Zu lange wurden Wissenschafter im Rahmen der Message Control (also der verordneten einheitlichen Sprachregelung zur Erreichung gemeinsamer Ziele) von Regierungspolitikern vereinnahmt und dem Widerspruch bzw. dem wissenschaftlichen Diskurs keine Bühne geboten. Es wurde ein Bild der Einheit präsentiert, einer Einheit, die unter Wissenschaftern so aber nie bestand.

Das ändert sich nun und ist zunächst auch gut so. Problem: noch mehr Meinungen, noch mehr Verunsicherung unter Laien.

3. Die wirtschaftlichen Auswirkungen ziehen unaufhaltsam immer größere Kreise und kommen langsam aber sicher auch in der Mittelschicht an. Damit ist nun eine Größenordnung an „Betroffenen“ erreicht, die auch von den Medien bedient werden will.

4. Apropos Medien, diese haben ebenfalls einen gehörigen Anteil an der wachsenden Verunsicherung zu verantworten: immer mehr Menschen verurteilen die unkritische Berichterstattung und die vermeintlich unkontrollierte Wiedergabe von Regierungsnachrichten als tendenziös. Gleichzeitig setzen bestimmte Medien an, sich als “alternative” und “freie” Medien zu inszinieren, die nicht selten sehr eindeutig polemisieren und dabei auf dubiose Quellen und Informanten verweisen. Alternative Fakten als Antwort auf undifferenzierte Berichterstattung? Auch keine positive Entwicklung.

5. Kollaterealschäden werden sichtbar: zur wirtschaftlichen Not offenbaren sich auch immer mehr gesundheitliche Problembereiche, die sich wiederum in psychische und physische Fälle aufteilen. Je länger die Epidemie dauert, desto eindeutiger befördert die zunehmende Datenlage diesen Umstand ans Tageslicht.

Corona Maßnahmen und ihre Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit

Auf seiner Facebook Seite geht der Public Health Experte Dr. Martin Sprenger von der Medizinischen Universität Graz darauf ein:

Während des Lockdowns im Frühjahr haben sich viele Menschen nicht in medizinische Einrichtungen getraut – aus Angst vor einer Ansteckung oder weil aktiv dazu aufgerufen wurde, Spitäler und Ordinationen nur in Notfällen zu betreten. Nach und nach wird das Ausmaß der Folgen klar: Viele Krankheiten wurden nicht oder zu spät diagnostiziert.

So etwa auch viele Brustkrebs- und gynäkologische Krebserkrankungen, wie eine aktuelle Studie von österreichischen Autor*innen im International Journal of Gynecological Cancer zeigt.¹

Insgesamt haben sich die Spitalsaufnahmen in Österreich während des Lockdown halbiert. Fatale Konsequenz: zum Beispiel mehr letale Herzinfarkte.

Konkret zeigt eine Studie des Universitären Herzzentrums Graz an steirischen Landeskrankenhäusern, Dramatisches auf: Während der sechs Wochen Corona-bedingten Lockdowns sind um 23 Prozent weniger Patienten mit Herzinfarkten, Lungenembolien und Aorta-Einrissen aufgenommen worden. Die Sterblichkeit der Patienten, die kamen, war darüber hinaus um 65 Prozent höher als in den vier Vergleichsjahren davor. [“Lockdown halbierte Spitalsaufnahmen” – Wiener Zeitung Zeitung (Artikel offline)]

Auch die psychischen Auswirkungen der Coronamaßnahmen treten immer klarer zutage. Es ist mittlerweile bestätigt, dass es zu einem Anstieg von psychischen Erkrankungen gekommen ist. Belegt wird dies etwa durch eine SORA-Studie im Auftrag des psychosozialen Dienstes der Stadt Wien.

Demnach haben viele Menschen wegen Social Distancing weniger Kontakt zu ihrem persönlichen Umfeld, zu Freunden genauso wie zu ArbeitskollegInnen. Die Folge sind Einsamkeit, Niedergeschlagenheit und Ängstlichkeit – Gefühle die zu Depressionen führen oder seelische Erkrankungen verstärken können.

Konkret weist die SORA Studie zur psychosozialen Situation der Wiener während der Corona-Pandemie folgende Ergebnisse aus (wichtigste zusammengefasst):

1. Bei einem Viertel der Bevölkerung hat sich die psychische Gesundheit verschlechtert. Rund 40 % der WienerInnen erlebten Ängstlichkeit/Anspannung oder weniger Freude an Tätigkeiten. Rund 35 % erlebten Erschöpfung oder Niedergeschlagenheit/Hoffnungslosigkeit. Rund 28% erlebten Sorgen vor Kontrollverlust, Einsamkeit oder Orientierungslosigkeit. Jeweils 13 % erlebten schwere Konflikte in der Familie oder betrieben Substanzmissbrauch. 7 % hatten an zumindest mehreren Tagen während der Pandemie Suizidgedanken.

2. Besonders gefährdet von einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit sind Personen, die direkt vom Corona-Virus betroffen waren, bzw. jene WienerInnen, die von sozio-ökonomischer Ungleichheit betroffen sind.

3. Jede dritte Person in Wien äußert Bedarf an Hilfs- und Unterstützungsleistungen.

4. Der soziale Zusammenhalt und das Vertrauen in das politische System sind während der Corona-Pandemie gestiegen – besonders bei WienerInnen mit Zugang zu mehr sozialen Ressourcen.

Methode: Die Interviews wurde im Zeitraum 27. April bis 17. Mai 2020 durchgeführt. Online und Telefon.
Stichprobe: 1.004 zufällig ausgewählte WienerInnen ab dem 16. Lebensjahr.
Quelle: FB-Seite Public Health Graz – Dr. Martin Spenger

Corona-Pandemie wie ein Schwelbrand in der Gesellschaft

Ein wesentlicher Teil der Unsicherheiten in der Bevölkerung kommt von der Schwierigkeit das individuelle und das gesellschaftlichen Risiko durch das Coronavirus richtig einzuschätzen. Der Epidemiologe und Physiker Prof. Dirk Brockmann erklärt im ZDF (“Markus Lanz”), warum das Coronavirus so schwer einzudämmen ist und wie man sich die Gefahr vorstellen kann.

Brockmann spricht davon, dass sich das Virus quasi von unseren Kontakten “ernährt”. Wenn keine Kontakte stattfinden, kann keine Übertragung erfolgen. Das bedeutet, das nur ein weltweiter kompletter Lockdown für mehrere Wochen das Virus nachhaltig eliminieren könnte.

Ein natürlich rein theoretisches Szenario, das unmöglich ist, wie Brockmann ausdrücklich betont. Er will damit aber verdeutlichen, dass soziale Kontakte quasi das Futter für das Virus sind, weil es sich eben über unsere Interaktionen vermehrt. Je mehr also auf soziale Kontakte verzichtet wird, desto mehr wird dem Virus das Futter entzogen. Mit dem bereits erwähnten Risiko unabschätzbarer Langzeitfolgen für unsere Psyche.

Zur Verbildlichung der aktuellen Situation der Fallzahlen sagt er: “Die Anfangsphase (im März 2020; Anmerkung der Redaktion) war wie ein Küchenbrand. Und wir haben schnell Maßnahmen ergriffen und ihn gelöscht. Und jetzt haben wir so eine Art Schwelbrand, der in den Wänden sitzt. Auch wenn man ihn nicht sehen kann, weiß man, dass immer noch die Gefahr da ist, dass der Brand wieder ausbricht. Genauso verhält es sich aktuell mit dem Virus.” [Markus Lanz – Sendung vom 7. Oktober 2020]

Corona – was also tun? Tipps vom Experten

In seinem Buch “Das Corona-Rätsel” hat sich Dr. Martin Spenger ausgiebig mit der Entwicklung lösungsorientierter Tools zu den Themen Kommunikations- und Teststrategie, Forschungsagenda, Corona-Ampel usw. beschäftigt.

Hier seine Vorschläge für präventive Maßnahmen, die mehr nutzen als schaden, kurz zusammengefasst:

1) Infektionsmanagement in Ordinationen, Ambulanzen, Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen. Vor allem Letztere müssen finanziell, personell und mit Know-How unterstützt werden. Höchste Priorität: Hochrisikobereiche schützen! (Hygiene, Testung, etc.)

2) Testung von symptomatischen Personen v.a. mittels Antigen-Schnelltest. Positiv getestete Personen —> Quarantäne für 7 Tage.

3) Kranke Kinder (>38,5°C) und Erwachsene sollen zuhause bleiben. Es ist nicht mehr heroisch krank arbeiten zu gehen. Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen brauchen hier die meiste Unterstützung.

4) Abstand halten, Empfehlung eines Mund-Nasenschutz in Innenräumen bzw. Risikobereichen wo Abstand nicht eingehalten werden kann. Wie in skandinavischen Ländern. Kinder unter 12 Jahren sind davon ausgenommen.

Anmerkung zum Mund-Nasenschutz (MNS) als Intervention in einem Infektionsgeschehen: Dr. Spenger verweist dabei auf die Empfehlungen des Instituts für Public Health in Norwegen (NIPH), die er teilt. Demnach wird in bestimmten Situationen, wo es unmöglich ist einen Abstand von einem Meter zu halten, die Verwendung eines MNS empfohlen. Die letzte vom NIPH durchgeführte Übersichtsarbeit zeigte, dass die physische Distanzierung von einem Meter das Risiko einer Infektion im öffentlichen Bereich um 80 Prozent und ein MNS um zirka 40 Prozent senkt. Dabei ist zu beachten, dass diese Risikoreduktion davon abhängt welcher MNS in welchem Setting wie verwendet wird.²

5) Professionelle Risikokommunikation, korrekt, verständlich, am besten im Sinne der Kriterien für gute Gesundheitskommunikation. Dashboard abschalten. Beschallung durch Medien beenden. Gezielt mit jenen Gruppen kommunizieren, die schwer erreicht werden.

Ein besonders hohes Risiko schwer zu erkranken haben ältere und hochbetagte Menschen, mit wenig Einkommen, einer geringen Gesundheitskompetenz, einem erschwerten Zugang zu Gesundheitsinformationen, mit mehreren chronischen Erkrankungen, die in beengten Räumlichkeiten mit mehreren Generationen zusammenleben, wobei die erwerbstätige Generation in prekären Arbeitswelten tätig ist.

Diese Bevölkerungsgruppe gilt es gezielt zu identifizieren, mit angemessenen und geeigneten Mitteln zu informieren und sie dabei bestmöglich zu unterstützen gut über den Winter zu kommen. Die dafür verwendeten finanziellen und personellen Ressourcen sind in jedem Fall gut eingesetzt.

6) Alle Maßnahmen die unser Immunsystem stärken sind zu empfehlen und zu ermöglichen. Zum Beispiel Radfahren, viel Bewegung, ausreichend Schlaf, Entschleunigung, etc.

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Quellen:

¹ Decrease in gynecological cancer diagnoses during the COVID-19 pandemic: an Austrian perspective
² Should individuals in the community without respiratory symptoms wear facemasks to reduce the spread of COVID-19? (NIPH)
³ WHO warns against COVID-19 lockdowns due to economic damage (New York Post)

Anmerkung: Die Initiative “Reden Sie mit! Was macht Corona mit unserer psychischen Gesundheit?” beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Corona-Krise auf unsere Psyche. Themenschwerpunkte sind: Bildung und Lernen in der Corona-Krise, Arbeit und Beruf in der Corona-Krise, sowie sozialer Isolation und Einsamkeit in der Corona-Krise.

Fotohinweis: sofern nicht extra anders angegeben, Fotocredit by Fotolia.com (bzw. Adobe Stock)

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