Chronische spontane Urtikaria: Vorbeugung und Kontrolle der Symptome

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Chronische spontane Urtikaria: Erfahrungsbericht und medizinischer Leitfaden

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Chronische Urtikaria, auch bekannt als Nesselsucht, ist eine Hauterkrankung, die durch juckende Quaddeln und manchmal Angioödeme gekennzeichnet ist.


Während akute Formen oft innerhalb weniger Wochen abklingen, kann die chronische Variante über Monate oder Jahre bestehen bleiben.

Chronische spontane Urtikaria – Artikelübersicht:

Chronische Urtikaria (CU) ist ein komplexes Krankheitsbild mit immunologischer Beteiligung – allerdings nicht IgE-vermittelt im klassischen Sinne wie bei der Typ-I-Allergie.

Dieser Artikel beleuchtet die medizinischen Grundlagen der Erkrankung, diagnostische Herausforderungen und therapeutische Ansätze, ergänzt durch persönliche Erfahrungen eines Betroffenen.

Was ist chronische Urtikaria?

Urtikaria ist eine Hauterkrankung, die durch das plötzliche Auftreten von Quaddeln, Juckreiz und manchmal Schwellungen (Angioödeme) gekennzeichnet ist.

Die Erkrankung wird nach ihrer Dauer klassifiziert:​

Akute Urtikaria: Symptome bestehen weniger als sechs Wochen.
Chronische Urtikaria: Symptome bestehen länger als sechs Wochen.​

Die chronische Urtikaria wird weiter unterteilt in:​

  • Chronisch spontane Urtikaria (CSU): Symptome treten ohne erkennbare Auslöser auf.
  • Chronisch induzierbare Urtikaria (CIndU): Symptome werden durch spezifische Reize wie Kälte, Druck oder Wärme ausgelöst.

In einigen Fällen können beide Formen gleichzeitig auftreten, was die Diagnose und Behandlung erschwert.

Urtikaria (Nesselsucht) ist keine klassische Allergieform. Zwar kann Urtikaria in seltenen Fällen Symptom einer allergischen Reaktion sein – etwa bei einer IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergie –, doch ist dies bei der chronischen spontanen Urtikaria (CSU) ausgesprochen selten.

Vielmehr entsteht die CSU meist durch eine fehlerhafte Immunantwort, Autoimmunprozesse oder andere, oft nicht identifizierbare Mechanismen, und nicht durch eine klassische Allergie.

Bei der Urtikaria handelt es sich typischerweise um eine allergieähnliche Reaktion des Körpers auf bestimmte Reize, aber nur in Ausnahmefällen um eine echte Allergie.

Bei der chronischen spontanen Urtikaria spielen Allergien in der Regel eine untergeordnete Rolle.

Pathophysiologie: Was passiert im Körper?

Die Symptome der Urtikaria entstehen durch die Freisetzung von Histamin und anderen Entzündungsmediatoren aus Mastzellen in der Haut. Dies führt zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität, was die typischen Quaddeln und Schwellungen verursacht.​

Die Aktivierung der Mastzellen kann durch verschiedene Mechanismen erfolgen:​

Immunvermittelte Reaktionen: z. B. IgE-vermittelte Allergien oder Autoimmunreaktionen.
Nicht-immunvermittelte Reaktionen: z. B. direkte Aktivierung durch Medikamente oder physikalische Reize.​

Mastzellen und Basophile spielen jedenfalls eine zentrale Rolle. Diese setzen bei Aktivierung eine Vielzahl von Mediatoren frei, darunter:

  • Histamin (wirkt über H1- und H2-Rezeptoren)
  • Leukotriene
  • Prostaglandine
  • Zytokine wie TNF-α und IL-4
  • PAF (Platelet Activating Factor)

Diese Mediatoren wirken nicht alle über denselben Rezeptor – und nicht alle sind durch H1-Antihistaminika wie Desloratadin adressierbar.

Bei der chronischen spontanen Urtikaria wird vermutet, dass Autoantikörper gegen den IgE-Rezeptor auf Mastzellen eine Rolle spielen. Die genauen Mechanismen sind jedoch noch nicht vollständig verstanden.

Diagnostische Herausforderungen

Die Diagnose der chronischen Urtikaria basiert hauptsächlich auf der Anamnese und dem klinischen Bild.

Wichtige Fragen umfassen:​

– Wie lange bestehen die Symptome?
– Gibt es erkennbare Auslöser?
– Wie schnell verschwinden die Quaddeln?​

Zusätzliche Untersuchungen können helfen, andere Erkrankungen auszuschließen:​

– Laboruntersuchungen: z. B. Blutbild, Entzündungsparameter.
– Provokationstests: z. B. Kälte- oder Drucktests bei Verdacht auf CIndU.
– Hautbiopsie: bei Verdacht auf Urtikaria-Vaskulitis.​

Die Diagnose kann herausfordernd sein, insbesondere wenn mehrere Formen der Urtikaria gleichzeitig vorliegen oder keine klaren Auslöser identifiziert werden können.

Therapieansätze

Antihistaminika, insbesondere H1-Antihistaminika der zweiten Generation, sind der zentrale Bestandteil der Behandlung.

Sie lindern die Beschwerden, indem sie die Wirkung von Histamin blockieren, das für die typischen Symptome verantwortlich ist.

Die Medikamente werden als symptomatische Therapie eingesetzt und heilen die Erkrankung nicht, sondern unterdrücken die Symptome.

Zu den häufig eingesetzten H1-Antihistaminika (Angabe mit Standarddosierung) der zweiten Generation zählen:

  • Cetirizin (10 mg 1x täglich)
  • Desloratadin (5 mg 1x täglich)
  • Levocetirizin (5 mg 1x täglich)
  • Fexofenadin (180 mg 1x täglich)

Die Behandlung der chronischen Urtikaria erfolgt stufenweise:​

Antihistaminika der zweiten Generation: z. B. Desloratadin in Standarddosierung.
Erhöhung der Antihistaminika-Dosis: bis zur vierfachen Standarddosis, falls notwendig.
Zusätzliche Therapien: z. B. Omalizumab (ein monoklonaler Antikörper), Ciclosporin A oder Montelukast.​

Biologika bei therapieresistenter Form

Omalizumab (Xolair) ist zugelassen für antihistaminika-refraktäre chronische spontane Urtikaria.

  • Wirkt durch Blockade von IgE → Mastzellstabilisierung
  • Wird monatlich subkutan injiziert
  • In Studien remittieren bis zu 70 % der Patienten

Die Wahl der Therapie hängt von der Schwere der Symptome und dem Ansprechen auf die Behandlung ab. Regelmäßige Kontrollen und Anpassungen der Medikation sind oft erforderlich.

Therapeutische Konsequenzen und Optionen

1. Maximale Dosis Antihistaminika (bis zu – 4x Tagesdosis) ist leitliniengerecht, auch wenn sie nicht immer vollständig wirksam ist.

2. Kombination mit anderen Antientzündlichen Medikamenten, z. B.:

  • Leukotrienrezeptor-Antagonisten (z. B. Montelukast)
  • Kurzfristig systemische Glukokortikoide bei schweren Schüben (wenn keine Kontraindikation vorliegt)

3. Biologische Therapie mit Omalizumab (Anti-IgE-Antikörper)

  • Standard bei antihistaminika-refraktärer chronischer Urtikaria
  • Wirkt auf die Mastzellstabilisierung, auch bei Autoimmunvarianten

Frage: kontinuierlichen vs. situativen Einnahme von Desloratadin

Hier ein Überblick über die pharmakologisch-medizinische Perspektive:

Desloratadin ist ein nicht sedierendes H1-Antihistaminikum der 2. Generation mit:

Guter Verträglichkeit, auch bei Langzeiteinnahme – macht nicht müde
Langer Halbwertszeit (~27 Stunden) → tägliche Einnahme ideal zur Plasmaspiegelkonstanz
Keine bekannten gravierenden Langzeitnebenwirkungen

Trotzdem:

Situative Einnahme (z. B. bei erkennbaren Triggern wie Pollenzeit, Stress) kann bei mildem Verlauf und seltener Symptomatik ausreichend sein Dauertherapie ist vor allem dann empfohlen, wenn die Krankheitslast hoch ist oder häufige Schübe auftreten, weil:

– Sie die Mastzellaktivierung stabilisiert
– Es zu einer gewissen downregulation der Rezeptoraktivität kommen kann, was die Reaktivität langfristig senkt

Fazit: In speziellen Fällen – mit langer Remissionszeit und bekannter Triggerstruktur – ist die situative Einnahme mit erhöhter Wachsamkeit vertretbar. Dennoch kann eine vorsorgliche Einnahme in Hochrisikozeiten (z. B. Frühjahr, bei hoher psychischer Belastung) durchaus sinnvoll sein.

Prophylaxe und Akutbehandlung der chronisch spontanen/induzierten Urtikaria

1. Tägliche Basisprophylaxe (immer, auch symptomfrei)

Morgens:

Hände und betroffene Hautpartien eincremen zum Beispiel mit

→ Eucerin® UreaRepair PLUS 5% Urea Handcreme oder
→ Physiogel® Calming Relief A.I. Creme

Abends:

Großzügig auf Hände und Gesicht auftragen:
→ La Roche-Posay® Lipikar Baume AP+M

Zwischendurch (bei trockener Haut, Juckreiz, Reizung):

Punktuell auftragen:
→ Bepanthen® Sensiderm Creme

2. Akutbehandlung bei Schubbeginn

Erste Symptome (Kribbeln, erste Rötungen, Juckreiz):

Einnahme von Desloratadin 20 mg/Tag (4×5 mg Tabletten) wie gehabt.
Lokale Behandlung auf betroffenen Stellen:

Option 1 (klassisch, milder Cortison-Einsatz): Advantan® Creme 1× täglich dünn auftragen, max. 5–7 Tage.
Option 2 (steroidfreie Behandlung, z. B. für Gesicht, empfindliche Zonen): Elidel® Creme 2× täglich dünn auftragen, bis Besserung eintritt.

3. Spezielle Situationen: Stress, Infekte, Pollenzeit

Zusätzliche Maßnahmen:

  • Bereits präventiv täglich Desloratadin 5–10 mg einnehmen während hoher Belastung.
  • Hautpflege besonders konsequent (morgens + abends rückfettende Cremes).
  • Vermeiden von Triggern: mechanische Reibung, Hitze/Kälte-Exposition, emotionaler Stress wenn möglich.

Hinweis: Rezeptpflicht

– Advantan®, Elidel®, Protopic® sind rezeptpflichtig → ärztliche Verschreibung nötig.
– Die genannten Pflegeserien sind bloß Beispiele und allesamt rezeptfrei in der Apotheke erhältlich.

Persönliche Erfahrungen eines Betroffenen

Die chronische Urtikaria ist eine komplexe Erkrankung, die eine individuelle und oft stufenweise Therapie erfordert. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Patient und Arzt sowie eine konsequente Umsetzung von prophylaktischen Maßnahmen können die Lebensqualität erheblich verbessern.​

Wir haben mit einem Betroffen gesprochen, der unter regelmäßigen Schüben leidet, die mitunter Monate oder auch Jahre auseinander liegen.

Patient: Ausgangslage war ein Schub einer chronischen spontanen Urtikaria bzw. einer Chronischen induzierbaren Urtikaria (die genauen Auslöser sind bei mir nicht bekannt) nach 6 Jahren.

Die Symptome sind bei mir zumeist gleich: es beginnt mit leichtem Kribbeln in den Händen, dann bilden sich sehr rasch kleine Bläschen und es kommt auf den Händen zu Schwellungen, Wasseransammlung und typischen Angioödemen.

Dazu meist auch im Gesicht Schwellungen mit juckenden Rötungen, die dann zu nässen beginnen und verkrusten. Meine vom Arzt vorgegebene Behandlung ist wie folgt: Einnahme von Antihistaminika (konkret 4-fache Dosis also 4 x 5 mg Desloratatin Pulver pro Tag und für die Hände Diproforte Salbe einmal täglich vor dem Einschlafen).

Der Ausbruch war sehr schnell (innerhalb von 2 Stunden ab der ersten kleinen juckenden Rötung auf einem Finger) und hat nun nach einer Woche den Höhepunkt überschritten – die Angioödeme und Quaddeln an der Hand schwellen ab, nachdem gestern die gestaute Flüssigkeit durch Aufstechen vom Arzt großteils entfernt wurde.

Meine Frage ist: Warum kann ich einen Ausbruch nicht verhindern, selbst wenn ich relativ schnell (innerhalb von 2 Stunden) bei den geringsten Anzeichen von Symptomen eine Tablette Desloratatin (Beispiel) nehme. Weshab ist das so, wenn doch dieses Antihistaminikum die Wirkweise von Histamin am H1-Rezeptor und verringert?

Exkurs: Warum wirkt Desloratadin trotz Hochdosis manchmal nicht?

1. Histamin ist nicht der einzige Mediator

Desloratadin blockiert ausschließlich die H1-Rezeptoren. Die entzündliche Kaskade in der Urtikaria kann jedoch auch über H2-Rezeptoren, Leukotriene oder sogar direkte Mastzellaktivierung (z. B. durch Autoantikörper) ablaufen. Dadurch wird die Wirkung von H1-Blockern allein häufig nicht ausreichend.

2. Zeitfenster der Wirkung

Desloratadin wirkt präventiv besser als therapeutisch im akuten Stadium. Wenn Mastzellen bereits entleert sind und die Mediatoren zirkulieren, ist es oft „zu spät“ für Antihistaminika allein – der Entzündungsprozess läuft dann autonom weiter.

3. Autoimmuner Anteil

Etwa 30–50 % der Patient:innen mit chronischer spontaner Urtikaria haben funktionelle Autoantikörper gegen den FcεRI-Rezeptor oder IgE selbst. Diese bewirken eine dauerhafte Mastzellaktivierung, unabhängig von externen Triggern oder Histaminfreisetzung – ein H1-Blocker hat hier limitierte Wirkung.

4. Barrierefunktion der Haut

Ist die Hautbarriere durch Schwellung, Nässe und Krusten bereits kompromittiert, können lokale Entzündungsprozesse durch Zytokine und andere Mediatoren weiter angeheizt werden – unabhängig von systemischer Histaminwirkung.

Patient: Als Betroffener einer chronischen Urtikaria habe ich verschiedene Therapien ausprobiert. Anfangs erhielt ich Desloratadin in Standarddosierung, was jedoch nicht ausreichte. Nach Rücksprache mit meinem Arzt wurde die Dosis erhöht, was zu einer Besserung führte.​

Zusätzlich habe ich festgestellt, dass eine konsequente Hautpflege mit feuchtigkeitsspendenden Cremes und das Vermeiden von bekannten Auslösern wie Stress und bestimmten Lebensmitteln hilfreich sind.​

Die Erkrankung hat meinen Alltag stark beeinflusst, aber mit der richtigen Therapie und Lebensstiländerungen konnte ich die Symptome weitgehend kontrollieren.

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Quellen:

¹ H1-Antihistaminika bei chronischer spontaner Urtikaria (Nesselsucht)
² Klassifikation, Diagnostik und Therapie der Urtikaria (S3-Leitlinie)

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