Fenofibrat & Co. – Medikamente gegen Covid-19 im Fokus
Spätestens seit der rasanten Ausbreitung der SARS-CoV-2 Virusmutation B117 in Großbritannien, wird klar, vor welch außergewöhnlichen Herausforderungen Wissenschaft und Gesellschaft in den nächsten Monaten stehen.
Medikamente spielen neben Impfungen und effektiven Tests dabei eine immer wichtigere Rolle. Fenofibrat könnte ein solches sein, wie eine umfangreiche Studie aus Israel aufzeigt. Vorteil: der Wirkstoff ist schon lange bekannt, bisher aber als Cholesterinsenker im Einsatz.
Fenofibrat & Co. – Medikamente gegen Covid-19 – Artikelübersicht:
- Ausgangslage: das mutierte Corona-Virus B117 als neue Bedrohung
- Ernste Lage, aber kein Grund zur Panik
- Fenofibrat: alt bekannter Wirkstoff als neues Medikament gegen Covid-19?
- Medikamente sollen Hospitalisierungsrate senken
- Fazit
- Linktipps
Die Pandemielage ist äußerst dynamisch und zwingt nicht nur Politiker rund um den Globus zu ständigen Anpassungen ihrer Strategien zur Eindämmung der Pandemie, sondern stellt auch die internationale Wisseenschaft und Forschung vor noch nie dagewesene Herausfoderungen.
Ausgangslage: das mutierte Corona-Virus B117 als neue Bedrohung
Die neuesten Entwicklungen in der Coronapandemie zwingen zu schnellem Handeln. Mit dem Auftauchen und der Verbreitung der Virusmuation B117 herrscht Alarmstimmung. Untersuchungen legen nahe, dass diese Mutation des Corona SARS-CoV-2 Virus zwar nicht tödlicher, aber wesentlich ansteckender sein dürfte.
Es gibt zwar noch keine abschließendes Ergebnis zur erhöhten Infektiösität der neuen Mutation, zumal es schwierig ist, unterschiedliche Effekte auseinanderzuhalten, doch dass sie sich innerhalb von kurzer Zeit so stark in Großbritannien ausgebreitet hat, spricht dafür, dass diese Virusvariante tatsächlich sehr leicht übertragbar ist.
Genau das macht sie für viele Wissenschafter gefährlicher als die alte Variante, auch wenn es bisher keine Hinweise daführ gibt, dass sie aggressiver oder tödlicher wäre, als die bisher bekannte Variante.
Prof. Dr. Friedemann Weber vom Institut für Virologie an der Justus-Liebig-Universität Giessen, betonte jedenfalls schon vor Werihnachten 2020, dass diese Virus-Variante auf jeden Fall ernst zu nehmen sei.
Warum? “Weil sie das Potenzial hat, die Pandemie schlimmer zu machen: viel mehr Infizierte führen zwangsläufig auch zu mehr Kranken mit schwerem Verlauf und letztlich zu mehr Toten in kurzer Zeit. Die Hospitalisierungsrate würde dramatisch ansteigen und zum Kollaps des Gesundheitssystems führen.” so Prof. Dr. Weber.¹
Ernste Lage, aber kein Grund zur Panik
Dennoch gebe es keinen Grund zur Panik, zumal die Verbreitung der Virusvariante durch rigorose Einreisesperren in Europa offenbar stark eingedämmt werden konnte. Zudem wird – derzeit – davon ausgegangen, dass die bisher zugelassenen Impfstoffe auch gegen diese Variante wirken.
Es wird aber auch klar, dass sich die Bemühungen zu einer möglichst raschen Eindämmung der Pandemie noch weiter verstärken müssen.
Letztlich gilt es immer zu bedenken: In einer Pandemie geht es primär nicht um den einzelnen Krankheitsfall, sondern um die Summe aller Krankheitsfälle.
Unter Berücksichtigung der neuen Lage, bedeutet das auch eine Anpassung der staatlichen Strategien: zusätzlich zu Impfungen und effektiven Tests, sollen potente Medikamente gegen schwere Covid-19 Verläufe helfen und so Druck von den Spitälern nehmen.
Fenofibrat: alt bekannter Wirkstoff als neues Medikament gegen Covid-19?
Fenofibrat ist ein weit verbreitetes kostengünstiges Generikum, das seit den 1970er Jahren als Lipidsenker (vulgo Cholesterinsenker) von zahlreichen Aufsichtsbehörden (z.B. FDA) zugelassen ist.
Der Wirkstoff ist international unter dem Handelsnamen Lipanthyl auf dem Markt bekannt, in Österreich ist das Arzneimittel unter dem Namen Fenolip retard 250 mg zur Behandlung von Dyslipämien, also zur Senkung des Cholesterins, der Triglyceride und der Lipoproteine auf Rezept erhältlich.
Knapp vor Weihnachten 2020 präsentierte Professor Dr. Yaakov Nahmias von der Hebrew University of Jerusalem die Ergebnisse seiner bereits im Sommer 2020 gestarteten Studie: sie liefern Belege für die Wirksamkeit von Fenofibrat bei der Behandlung von Patienten mit COVID-19.²
Ausgangspunkt der Untersuchung war die Beobachtung, dass das Coronavirus den Fettabbau in der Lunge hemmt. Warum die menschliche Lunge auf das SARS-CoV-2-Virus mit einer vollständigen Veränderung ihres Fettstoffwechsels reagiert, ist noch nicht bekannt, es hat sich aber herausgestellt, dass die starke Anhäufung von Fetten (Lipiden) in den Lungenzellen ein kritischer Faktor für die Verschlechterung des Zustands von COVID-19-Patienten ist.
Nachdem die Wirksamkeit des Medikaments Fenofibrat bereits zuvor im Labor entdeckt wurde, lag die Vermutung von Prof. Nahmias und seinen Kollegen nahe, dass der bereits lange zugelassene Triglyzerid-Senker diesen Mangel beheben und das Fortschreiten einer Lungenschädigung bei Covid-19 stoppen könnte.
So wurden Daten von 1.500 Corona-Patienten gesammelt, die Medikamente einnahmen, um den Abbau von Fetten zu beschleunigen um so die coronabedingten Fettablagerungen in den Lungenzellen zu verringern.
Und tatsächlich: Patienten, die Fibrate einnahmen, die direkt auf den Abbau von Fetten wirken, erholten sich schnell von der durch das Coronavirus verursachten Lungeninfektion, keiner dieser Patienten verstarb.
Zusammenfassend zeigte es sich, dass der PPARα-Agonist Fenofibrat die metabolischen Veränderungen umkehrte, die durch SARS-CoV-2 induziert wurden, wodurch die Virusreplikation blockiert wurde.
Diejenigen Patienten hingegen, die Medikamente einnahmen, die Fette aufbauen, wie z.B. Thiazolidindione, zeigten größere Lungenschäden und eine höhere Sterblichkeit.
Insgesamt legen die Daten nahe, dass ein erhöhter Lipidstoffwechsel den Aspekten der COVID-19-Pathogenese zugrunde liegen kann und neue therapeutische Möglichkeiten bietet, um auf diesen kritischen Weg abzuzielen, auf den sich das Virus stützt.
Der Effekt von Fenofibrat bei Covid-19 soll nun weltweit in klinischen Studien – unter anderem in einer Studie der University of Pennsylvania – untersucht werden. Ergebnisse werden bis Ende August 2021 erwartet.³
Medikamente sollen Hospitalisierungsrate senken
Das primäre Ziel der Anstrengungen zur Eindämmung der Pandemie ist, die Hospitalisierungsrate dramatisch zu senken um so den Kollaps der Gesundheitssysteme zu verhindern. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten:
1. Absolute Kontaktverbote in Form von Lockdowns. Dies erweist sich zwar kurzfristig als wirksam, jedoch zu immensen wirtschaftlichen Kosten und auf Kosten der psychischen Gesundheit der betroffenen Menschen. Zudem bauen sich offenbar nach einer Lockerung immer wieder neue Infektionswellen auf.
2. Impfungen: wer nicht ernsthaft an dem Virus erkrankt, stellt aus gesundheitspolitischer Sicht (public health) kein Problem dar. Allerdings ist derzeit nicht ausreichend klar, inwieweit geimpfte Personen (auch abhängig vom jeweiligen Impfstoff) weiter infektiös sind oder nicht. Deshalb würde nur eine sehr hohe Impfrate von zumindest 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung eine nachhaltige epidemiologische Wirkung erzielen. Ob dies in Österreich möglich ist, ist derzeit ungewiss.
3. Testungen: effiziente Teststrategien unter dem Einsatz aller gebotenen Testverfahren (PCR-Tests, Antigentests, Antikörpertests) können zweifellos ein wirksames Instrument sein um das gesellschaftliche Leben wieder hochzufahren. Doch der Aufwand ist hoch und setzt nicht nur eine hocheffiziente Infrastruktur mit barrierefreiem Zugang voraus, sondern auch eine anhaltende Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung.
4. Medikamente: wie am Beispiel des Wirkstoffes Fenofibrat aufgezeigt, spielt natürlich auch die Behandlung von symptomatischen Patienten eine essentielle Rolle in der Schadensbegrenzung der Coronapandemie. Denn, je weniger Patienten auf den Intensivstationen, desto besser für das Gesundheitssystem und das betroffene Personal.
Fazit
Es zeichnet sich ab, dass vermutlich nur ein smarter Mix aller genannten Möglichkeiten und die bekannten Regeln (Abstand halten, Handhygiene, Mund-Nasen-Schutz) eine Rückkehr zur Normalität ermöglichen werden.
Dazu sind Regierungen, Medien, Wissenschaft und Forschung extrem gefordert, der Bevölkerung die erforderlichen Schritte klar und nachvollziehbar zu kommunizieren.
Den Grundwerten einer liberalen Demokratie folgend, sind dafür ein selbstbewusster wissenschaftlicher Diskurs und leidenschaftliche politische Diskussionen zur Erreichung eines gesellschaftlichen Konsens unerlässlich.
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Quellen:
¹ Was das mutierte Corona-Virus bedeuten kann
² The SARS-CoV-2 Transcriptional Metabolic Signature in Lung Epithelium ( Ehrlich, Avner and Uhl, Skyler and Ioannidis, Konstantinos and Hofree, Matan and tenOever, Benjamin R. and Nahmias, Yaakov, Review 14 Jul 2020)
³ FEnofibRate als metabolische Intervention für COVID-19
Fotohinweis: sofern nicht extra anders angegeben, Fotocredit by Fotolia.com (bzw. Adobe Stock)
Linktipps
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