Was ist eine Bipolare Störung?

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Was ist eine Bipolare Störung?

Die bipolare affektive Störung (vormals manisch-depressive Erkrankung) ist eine psychische Störung, die durch abwechselnde gedrückte (depressive) und euphorische (manische) Stimmungen gekennzeichnet ist.


Eine Erkrankung mit zwei Gesichtern: kreative Höhenflüge, ruinöse Hyperaktivität, Selbstüberschätzung, Depression und Verzweiflung bis hin zum Selbstmord – all das sind Facetten ein und derselben Erkrankung. Univ. Prof. DDr. Siegfried Kasper erklärt im Interview die Symptome und den Verlauf der bipolaren Erkrankung.

Bipolare Störung – Video Dr. Katharina Tempel

Dr. Katharina Tempel, Diplom-Psychologin und Expertin auf dem Gebiet der Positiven Psychologie, im Video über manisch-depressives Verhalten und bipolare Störung. Was ist eine Bipolare Störung und wie äußert sie sich? Die typischen Symptome der manisch-depressiven Störung, was in einer manischen Phase passiert und wie sich Manie von guter Laune unterscheiden lässt.

Was ist eine bipolare Erkrankung?

Bipolare Störungen sind schwere chronisch verlaufende psychische Erkrankungen mit starken Stimmungsschwankungen. Die Manie äußert sich als übersteigertes Hochgefühl bei dem die Betroffenen zumeist gleichzeitig hyperaktiv, euphorisch und gereizt sind. Die Depression ist gekennzeichnet durch Antriebsmangel, eine bedrückte Stimmung und einem Verlust von Interesse und Freude. dazu kommen oftmals Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, Schlafstörungen und Todes- und Suizidgedanken.

Im Gegensatz zu psychisch gesunden Menschen stehen diese dramatischen Stimmungsveränderungen bei bipolar Erkrankten häufig in keinem engeren Zusammenhang mit äußeren Lebensumständen und sind wesentlich stärker in Dauer und Intensität ausgeprägt. Die Betroffenen fallen oft ohne nachvollziehbare Gründe von einem Extrem ins andere. In diesem Spannungsfeld zwischen Manie und Depression ist ein geregeltes Leben kaum möglich.

Normale Gefühlsschwankung oder bipolare Störung?

Gefühlsschwankungen kennt jeder, man hat bessere und man hat schlechtere Tage, doch bei Menschen mit einer Bipolaren Störung verhält es sich anders: sie fallen oft ohne nachvollziehbare Gründe von einem Extrem ins andere. Die Betroffenen leiden unter Stimmungsschwankungen, die in ihrer Intensität absolut übersteigert sind. Ausprägung und Verlauf der Krankheit können jedoch sehr verschieden sein. Manische und depressive Episoden gehen mal direkt ineinander über, mal liegen ganze Jahre symptomfreier Zeit dazwischen.

Manisch-depressive Erkrankungen sind keineswegs selten, es wird vermutet, dass allein in Österreich etwa 400.000 Menschen – Männer und Frauen gleich häufig – betroffen sind. Nur wenige Betroffene wissen um ihre Krankheit und finden den Weg zu einem geschulten Arzt oder Psychologen. Dabei könnten eine rechtzeitige Diagnose und eine gezielte Behandlung den Krankheitsverlauf wesentlich verbessern.

Wie entsteht eine bipolare Störung?

Nach wie vor ist unklar wie die Erkrankung entsteht. Vermutet wird ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, die letztlich zu Störungen im Gehirnstoffwechsel führen. Dies können genetische, biologische, psychosoziale und körperliche Faktoren sowei auf Medikamente bezogene Ursachen sein.

Bei der bipolaren Störung kommt es dann vereinfacht gesagt, zu einem Ungleichgewicht verschiedener Überträgersubstanzen im Gehirn, den sogenannten Neurotransmitter. Vor allem die Neurotransmitter Noradrenalin, Serotonin, Dopamin und GABA (Gamma-Aminobuttersäure) dürfte eine entscheidende Rolle in der Krankheitsentstehung spielen. Sie befinden sich in einem Ungleichgewicht, es liegt also eine Stoffwechselstörung im Gehirn vor.

Eine Erklärung für den unmittelbaren Ausbruch einer bipolaren Störung liefert das »Vulnerabilitäts-Stress-Modell«. Demnach kann eine angeborene oder erworbene Verletzlichkeit (Vulnerabilität) zusammen mit äußeren Faktoren wie Stresssituationen oder psychische Belastungen das Auftreten der Krankheitsepisoden begünstigen.

Die manisch-depressive Erkrankung tritt familiär gehäuft auf, so haben Kinder eines bipolaren Elternteils ein etwa zehnfach höheres Risiko als die Allgemeinbevölkerung, an einer bipolaren affektiven Störung zu erkranken. Wenn beide Eltern an einer bipolaren Störung leiden, steigt das Erkrankungsrisiko für ihre Kinder gar auf 50 Prozent.

Wie wird eine bipolare Störung behandelt?

Es gibt nach wie vor kein Heilmittel für Patienten mit bipolaren Störungen, allerdingst lässt dich die Krankheit therapeutisch in den Griff bekommen. Medikamentöse Behandlung (Stimmungsstabilisierer), Psychotherapie und Psychoedukation sind die Bausteine einer effektiven Therapie. Die Medikamente (Lithium, atypische Neuroleptika, Antidepressiva) sollen die übermäßigen Stimmungsschwankungen bei manischen und depressiven Episoden ausgeleichen, dabei aber ein gesundes Maß an Stimmungsschwankungen erhalten.

Psychotherapie, meist in Form einer Gesprächstherapie soll Patienten helfen Frühwarnzeichen leichter wahrzunehmen und potenzielle Auslöser in Zukunft zu vermeiden.

Psychedukation schließlich soll betroffenen und auch deren Angehörigen helfen, Ursachen und Auslöser manischer und depressiver Phasen genau zu kennen, um rechtzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Sie bietet die Grundlage für eine erfolgreiche, anschließende Verhaltenstherapie.

Experten-Interview (Video)

Univ. Prof. DDr. Siegfried Kaspar ist österreichischer Facharzt und Universitätsprofessor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Wiener Universitätsklinik und ein weltweit gefragter
Experte auf diesem Gebiet.

DDr. Kasper: Früher hat man zu dieser Erkrankung „manisch depressives Irre-sein“ gesagt. Man versucht die Begriffe möglichst neutral darzustellen und „manisch depressives Irre-sein“ hat so etwas Diskriminierendes an sich, sodass man vor etwa zehn Jahren, ausgehend vom angloamerikanischen Raum, die bipolare Erkrankung dann so benannt hat. Das sind Erkrankungen, wo es einerseits zu manischen und andererseits zu depressiven Phasen kommt.

Anmerkung: Im Verlauf der Krankheit kommt es viel häufiger zu depressiven Phasen. Heute geht man davon aus, dass zwei Prozent der Gesamtbevölkerung an der Vollform der bipolaren Störung erkrankt sind, weitere drei Prozent eine abgeschwächte oder phasenweise Störung durchleben. Heute weiß man, dass es sich um eine Stoffwechselerkrankung im Gehirn handelt.

DDr. Kasper: Die bipolare Erkrankung ist eine Stoffwechselstörung des Gehirns, wo verschiedene Bereiche des Gehirns, die für Stimmung und Antrieb zuständig sind, überstark reagieren.

Anmerkung: Die Diagnose und Behandlung der bipolaren Störung gehört in die Hände eines Facharztes für Psychiatrie. Die Erfahrung und das Wissen um die Krankheit ist entscheidend bei der Therapie, die zum Einen medikamentös vorgenommen wird, zum Anderen spielt auch die Aufklärung und das Gespräch eine wichtige Rolle.

DDr. Kasper: Das Gehirn funktioniert so, dass es erregende und dämpfende Neurone gibt, so ist das gesamte Gehirn aufgebaut und das Ganze muss am Besten wie ein philharmonisches Orchester zusammenstimmen. Bei der Manie sind es offensichtlich die dämpfenden Neurone, die zu wenig ausgeprägt sind, sodass es zu dieser manischen Verstimmung kommt und dadurch in der Depression diese Mechanismen ausgereizt sind,
woraufhin andere zum Tragen kommen.

Anmerkung: Je früher die Krankheit richtig diagnostiziert und behandelt wird, umso besser kann ihr Verlauf beeinflusst werden. Obwohl die Krankheitssymptome auch für das soziale Umfeld auffällig sind und der Leidensdruck enorm ist, dauert es mitunter Jahre bis sich Patienten beim Spezialisten vorstellen und mit einer Therapie beginnen.

DDr. Kasper: Erste Anzeichen sind, wenn der Patient sagt: „Ich brauche ganz wenig Schlaf und bin am nächsten Tag trotzdem sehr gut drauf. Mir reichen zwei bis drei Stunden und die Anderen, die das ganze Leben lang verschlafen, die werden schon sehen wo sie hinkommen“. Schlafstörungen sind etwas ganz Wesentliches. Das zweite wäre, dass der Antrieb im Vergleich zu früher deutlich angehoben ist, das heißt, dass sie sehr viel Schwung haben. Wenn man die Menschen fragt, was die Umwelt dazu sagt, dann sagen sie, „Denen gehe ich in diesem Zustand eher auf die Nerven.“

Anmerkung: Oft ist während der manischen Phase das gesamte soziale Umfeld überfordert, es droht infolge die soziale Isolation.

DDr. Kasper: Wenn das Umfeld den Betroffenen nicht gut kennt, sagt es meistens, dass es sich um einen schwierigen Menschen handle, oder er wieder seine schwierigen Phasen habe.

Anmerkung: Nach einer manischen Phase kommt immer eine meist wesentlich länger anhaltende depressive Phase. Der zuvor hyperaktive und kraftvoll wirkende Mensch ist dann oft nicht wiederzuerkennen.

DDr. Kasper: Die Depression ist für die Patienten eine sehr schlimme Situation, die häufig auch schuldhaft verarbeitet wird. Das heißt, dass sie sich wegen den ganzen Sachen, die sie in dem manischen Höhenflug gemacht haben sehr schlecht und minderwertig fühlen, sich leider oft auch das Leben nehmen oder parasuizidale Handlungen machen.

Anmerkung: Bipolare Störungen sind gegenwärtig noch nicht heilbar, es gilt wie so oft, die Krankheit möglichst früh zu erkennen.

DDr. Kasper: Man muss jede Phase verhindern, weil die nächste Phase schneller kommt, als die Vorherige. Das ist genauso wie wenn man einen Herzinfarkt hat: Ein Herzinfarkt ist schlecht, der zweite ist schlechter und der dritte ist noch schlechter. Das ist ein medizinisches Prinzip.

Anmerkung: In Zukunft ist zu fürchten, dass aufgrund unserer Lebenseinflüsse wie Stress, unregelmäßiger Lebensstil und Leistungsdruck, psychische Erkrankungen noch stärker in nden Vordergrund treten werden. Ohne medizinische Hilfe, schaffen es aber gerade Menschen mit einer bipolaren Störung meist nicht ihr Leben auf dieser Hochschaubahn der Gefühle in den Griff zu bekommen.

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Quelle:

¹ Schizophrenie: aktuelle Behandlungsleitlinien
² www.vielgesundheit.at

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Fotohinweis: sofern nicht extra anders angegeben, Fotocredit by Fotolia.com (bzw. Adobe Stock)

Linktipps

– Depressionen | Krankheitslexikon
– Schizophrenie | Krankheitslexikon
– Ich kann nicht schlafen – 10 Schlafregeln für gesunden Schlaf
– Das Asperger Syndrom bei Kindern: Kontakt- und Kommunikationsstörung
– Kriseninterventionszentrum

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