Small Penis Syndrome: zu kleiner Penis oder doch Wahrnehmungsstörung?

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Small Penis Syndrome - zu kleiner Penis?

Des Mannes größte Angst ist ein zu kleiner Penis. Tatsächlich muss an dieser Behauptung etwas dran sein, zumindest wenn man nach den Abermillionen Spam-Mails geht, die täglich unsere virtuellen Postfächer verstopfen. Wenn nämlich niemand die dort angepriesenen Wundermittelchen ordern würde, würde es die Werbemails wohl nicht geben.


Eine Studie des British Journal of Urology untermauert, was wir bereits bisher ahnten: Fast die Hälfte aller Männer ist der Meinung, einen zu kleinen Penis zu haben. Und bei vielen von Ihnen wird diese Sorge gar zur fixen Idee, Experten sprechen dann vom sogenannten Small Penis Syndrome (SPS), einer Spielart der Dysmorphophobie.

Die Ergebnisse der BJU-Online-Umfrage¹ unter 50.000 Personen legen die krassen Diskrepanzen in der Wahrnehmung offen: Während nämlich 45% der Männer angeben mit der Größe ihres Penis unzufrieden zu sein, gaben 85% der befragten Frauen an, mit der Ausstattung ihrer Partner zufrieden zu sein.

Zu kleiner Penis – Small Penis Syndrome? So gut wie nie, vielmehr ist eine Wahrnehmungsstörung des eigenen Körpers (Dysmorphophobie), die Ursache.

Wie kommt es also zu dieser (Fehl)einschätzung vieler Männer? Einer anderen Untersuchung zufolge geht diese Unzufriedenheit häufig auf Erfahrungen im Kindes- und Jugendalter zurück:

Rund zwei Drittel der unzufriedenen Männern gaben darin an, ihre Sorgen hätten in der Kindheit bei Vergleichen des Organs mit dem von anderen Buben angefangen (deshalb wird Wahrnehmungsstörung auch als “Umkleidekabinen-Syndrom” benannt). Das übrige Drittel bekam Zweifel am eigenen Körper im Jugendalter beim Betrachten von Sex- und Pornofotos.

Die britischen Urulogen vermuten, dass die Einschätzung der Penisgröße auch vom allgemeinen Selbstwertgefühl beeinflusst wird. Auch dürfte den meisten Männern unbekannt sein, wie lang ein durchschnittliches Glied ist und dass es hier ein enormes Spektrum gibt.

Fast die Hälfte der Männer ist unzufrieden

Viele Männer sind mit Ihrer Ausstattung unzufrieden und wünschen sich einen größeren Penis, doch die subjektive Wahrnehmung und die Realität unterscheiden sich gewaltig: Klinische Studien² mit insgesamt über 11.000 Beteiligten – ausgewertet wurden nur solche, in denen tatsächlich vermessen und nicht nur nach der Größe gefragt wurde – wurde beispielsweise ermittelt, dass das durchschnittliche männliche Geschlechtsteil im erigierten Zustand 14,48 Zentimeter lang ist und einen Umfang von 12 bis 13 Zentimetern bei einem Durchmesser von etwa 3,9 cm hat.

Ein wirklicher biologischer Nachteil, der eine bestimmte Penisgröße für die Fortpflanzung erfordert, resultiert praktisch erst, wenn der Penis im erigierten Zustand so kurz ist, dass er gar nicht in die Scheide eindringen kann. Von einem solchen “Mikropenis” sprechen Mediziner übrigens erst bei einer Größe von 1,5 cm im eregierten Zustand.

Die Geschichte der Ur-Angst des Mannes ist also voller Mißverständnisse und Fehlannahmen, doch unbestritten hat es einen psychischen Hintergrund. Viele Männer erhoffen sich von einem größeren und dickeren Penis mehr Erfolg bei der Partnersuche (bzw. fürchten sich, bei einer neuen Eroberung die Hose runterzulassen). Irritiert durch falsche Messungen, Angeber und der Sexindustrie spektulieren viele deshalb auch insgeheim und via Internet mit einer Penisvergrößerung.

Operative Ansätze zur Penisvergrößerung – von der suprapubischen Lipektomie bis zum Durchtrennen des Lig. suspensorium penis oder zu Augmentationen – bewerten die Autoren der BJU-Studie Dr. Wylie und Dr. Eardley aber eher skeptisch. Ihrer Meinung nach sei der Versuch, psychiatrische Probleme durch “Schönheitschirurgie” zu beseitigen, oft zum Scheitern verurteilt. Abgesehen davon würden die meisten Männer sich nicht unters Messer legen, wenn man sie umfassend über mögliche Komplikationen aufklärt. Motto: Was nutzt z.B. ein größeres Glied mit tauber, gefühlloser Eichel?

Dysmorphophobie – Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers

Wenn bei Männern mit durchaus normalen Maßen die Vorstellung, einen zu kleinen Penis zu haben, zunehmend die Gedanken beherrscht und das Verhalten im Alltag bestimmt, spricht man vom sog. Small Penis Syndrome (SPS) oder Umkleideraumsyndrom (Betroffene meiden strickt alle Situationen und Orte, in denen sie von anderen nackt gesehen werden können).

Es handelt sich dabei um eine Unterart der Dysmorphophobie, einer Krankheit, bei der Betroffene befürchten, durch einen Defekt, der für andere entweder überhaupt nicht oder lediglich minimal erkennbar ist, stark entstellt zu sein. Aufgrund dieser Angst zeigen Dysmorphophiker bestimmte Verhaltensweisen, die sich zum einen auf das Überprüfen und zum anderen auf das Kaschieren des Makels beziehen.

Der Betreffende beschäftigt sich wahnhaft anmutend und beharrlich mit der äußeren Erscheinung von ein bis zwei Körperteilen. Gegenstand der befürchteten Entstellung sind in der Regel Haare, Nase, Haut sowie primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale (Penis, Mammae). Hierbei wird die Bedeutung des vermuteten Makels für die Umwelt und das eigene Lebenskonzept überschätzt; soziale Vermeidung, zwanghafte Selbstkontrolle oder Körperpflege sowie Ängste, Depression mit Autoaggressivität oder Suizidgedanken, Scham, Beziehungsideen (Gefühl des Beobachtetwerdens) sowie querulatorisches Einfordern medizinischer Prozeduren sind die Folge bei bis zu 72 Prozent der Betroffenen.

Folge von Dysmorphophobie ist häufig ein gering ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Der Selbstwert der eigenen Person wird ausschließlich über das Aussehen definiert – da dieses als hässlich eingeschätzt wird, fühlen sich die Betroffenen entsprechend minderwertig. Im Falle des SPS geht das sexuelle Selbstvertrauen der Männer komplett den Bach hinunter. Sie gehen keine Beziehungen ein oder brechen bestehende Beziehungen ab.

Durch das Vermeiden von bestimmten sozialen Situationen geraten viele Dysmorphophobiker nach und nach in eine soziale Selbstisolation. Sie gehen nicht mehr zur Arbeit/Schule, sagen Treffen kurzfristig ab oder verlassen kaum noch ihre Wohnung, wodurch die Beziehungen zu anderen Personen stark beeinträchtigt werden.

Auch depressive Verstimmungen bis hin zu schweren Depressionen, Selbstaggression und Selbsthass sind vielfach Folgen einer Dysmorphophobie.

Ursache & Diagnose

Die genauen Ursachen für die Entstehung der körperdysmorphen Störung sind unbekannt. Es wird mittlerweile angenommen, dass sowohl biologische als auch soziokulturelle Faktoren hierbei eine Rolle spielen könnten. Zudem ist Dysmorphophobie nicht einfach zu diagnostizieren, was zum einen daran liegen mag, dass die Symptome erst seit relativ kurzer Zeit als Krankheit wahrgenommen werden.

Damit hängt wohl auch die Verwirrung zusammen, die die Krankheit unter Experten immer noch stiftet. So ist bis heute noch nicht einmal der Name unumstritten: “Dysmorphophobie” bedeutet wörtlich ja Angst vor Verunstaltung, weshalb die Krankheit in europäischen Diagnose-Schemen der Hypochondrie zugeordnet wird.

Was umstritten ist, schließlich haben die betroffenen Patienten ja nicht Angst, hässlich zu sein, sondern Gewissheit. In den USA wird die Krankheit deshalb überwiegend und treffender als “körperdysmorphe Störung” bezeichnet.

Nach dem DSM-IV (amerikanisches Handbuch für Diagnose und Statistik bei seelischen Störungen) ist Dysmorphophobie eine eigenständige, nicht wahnhafte somatoforme Störung mit den folgenden Kennzeichen:

  • Die Betroffenen beschäftigen sich übermäßig mit einem eingebildeten Mangel oder einer Entstellung der äußeren Erscheinung. Bei einer eventuell vorhandenen leichten körperlichen Anomalie ist die Besorgnis stark übertrieben.
  • Die übermäßige Beschäftigung erzeugt einen klinisch relevanten Leidensdruck oder Beeinträchtigungen im sozialen, beruflichen oder einem anderen wichtigen Lebensbereich.
  • Die übermäßige Beschäftigung wird nicht durch eine andere psychische Störung (zum Beispiel Anorexia nervosa) besser erklärt
  • Abgrenzung (Differenzialdiagnose) zu: Zwangsstörung, Sozialphobie, Schizophrene Erkrankung, Essstörung, Depression, Hypochondrie

Therapie

Das Mittel der Wahl ist die Psychotherapie: Es gibt mittlerweile einige Studien, die belegen, dass kognitive Verhaltenstherapie bei Patienten mit einer Dysmorphophobie bzw. körperdysmorphen Störung wirksam ist. Ebenso haben sich Serotonin-Wiederaufnahmehemmer als wirksam erwiesen. Betroffene begeben sich oftmals nicht rechtzeitig in Behandlung, meist aus Scham oder Unwissenheit, dass sie unter einer Krankheit leiden, die man psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandeln kann.

Häufig wird die Problemlösung nicht durch eine Psychotherapie, sondern durch medizinische, zahnärztliche oder chirurgische Behandlungen erwartet. Die plastische Chirurgie (Schönheitschirurgie) erscheint oft als die geeignetste Maßnahme, sofern sie von der finanziellen Seite her möglich ist.

Die Betroffenen geben oft viel Geld für kosmetische Korrekturen aus – bis hin zur Verschuldung. Vermeintlich misslungene Schönheitsoperationen werden durch neue Operationen zu beseitigen versucht.

Über Häufigkeit, Alter oder Geschlecht der Dysmorphophobiker gibt es noch keine verlässlichen Zahlen, da dies bisher noch nicht umfassend statistisch untersucht wurde. Fest steht, dass es keine seltene Störung ist.

Nach Schätzungen sind in der Allgemeinbevölkerung bis zu 2 Prozent von der dysmorphen Störung – die als eigenständiges psychiatrisches Krankheitsbild anerkannt ist – betroffen. Unter Patienten in Hautarztpraxen und kosmetischen Chirurgen weisen sogar bis zu 15 Prozent diese Störung auf.

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Quellen:

¹ “Penile size and the small penis syndrome? British Journal of Urology. 99 (6) 2007, S. 1449-1455
² u.a. Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V. Pro Familia

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