Hypochondrie | Krankheitslexikon

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Hypochondrie

Der “eingebildete Kranke” wird zu Unrecht belächelt. Hypochondrie – kaum eine andere psychische Störung hat so starken Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefunden wie die Hypochondrie. Menschen, die häufig über ihre Zipperlein oder ihre Angst krank zu werden sprechen, werden von der Umgebung häufig als Hypochonder bezeichnet und belächelt.


Die hypochondrische Störung gehört zu den sogenannten somatoformen Störungen, zu denen u.a. auch die Somatisierungsstörungen oder somatoformen Schmerzstörungen zählen. Gemeinsam ist diesen Krankheitsbildern, dass wiederholt körperliche Beschwerden berichtet werden, zu deren Abklärung meist verschiedene Ärzte aufgesucht werden.

Bei den Untersuchungen lassen sich jedoch keine körperlichen Ursachen feststellen, die die Symptome oder das Ausmaß der Beschwerden erklären können; die Möglichkeit psychischer Ursachen wird von den Betroffenen aber abgelehnt.

Das Leben der Patienten dreht sich häufig stark um ihre Symptome und sie fordern von ihrer Umgebung Aufmerksamkeit für ihr Leiden. Besser bekannt ist diese Störungsgruppe unter dem Begriff der Psychosomatik, der auf den Zusammenhang von Körper (Soma) und Seele (Psyche) hinweist. Die zentrale Annahme der Psychosomatik ist, dass sich seelische Probleme auch in körperlichen Symptomen äußern können.

Gemeinsames Merkmal dieser Störungen ist, dass die Betroffenen über körperliche Beschwerden klagen, für die sich bei medizinischen Untersuchungen keine Ursachen finden lassen, die das Ausmaß des Leidens erklären können. Trotz dieser (fehlenden) Untersuchungsergebnisse hält bei Hypochondern die Befürchtung an, sie könnten ernsthaft krank sein.

Als Ursache dafür wird ein Teufelskreis angenommen: Bei Personen, die zu Hypochondrie neigen, führen Informationen über Krankheiten und die Wahrnehmung (an sich normaler) körperlicher Erscheinungen zur Annahme, sie seien krank.

Als Folge beobachten sie ihr körperliches Befinden sehr aufmerksam, durch die Angst um die eigene Gesundheit steigt das körperliche Erregungsniveau, was zu einem Anstieg der scheinbaren Symptome führt und die überzeugung verfestigt, an einer Krankheit zu leiden. Therapeutisch wird die Durchbrechung dieses Teufelskreises (z.B. durch Entspannungsmethoden) angestrebt.

Symptomatik

Im Vordergrund steht bei der Hypochondrie die anhaltende Befürchtung, an einer schweren körperlichen Erkrankung zu leiden. Normale körperliche Erscheinungen oder minimale somatische Veränderungen, wie z.B. leicht erhöhter Puls beim Treppensteigen, vorübergehende Verdauungsbeschwerden o.ä. werden als krankhaft eingeschätzt und als Belege für diese Krankheit angesehen. Auch ergebnislose medizinische Untersuchungen können den Betroffenen nicht von dieser überzeugung abbringen.

Fehlende Untersuchungsergebnisse werden von den Betroffenen meist als Anzeichen dafür gesehen, dass sie an einer bisher unbekannten Krankheit leiden oder dass der Arzt sich irrt. In Folge dessen werden oft eine ganze Reihe von ärzten aufgesucht (doctor-shopping); in manchen Fällen unterziehen sich die Betroffenen sogar risikoreichen operativen Eingriffen, von denen sie sich Hinweise auf die Ursache ihrer Beschwerden erhoffen.

Im Gegensatz zu anderen somatoformen Störungen, bei denen meist wechselnde Symptome in unterschiedlichen Körperbereichen berichtet werden, sind die Beschwerden bei der Hypochondrie meist auf ein oder zwei Organsysteme beschränkt. Generell ist die Abgrenzung zu anderen somatoformen Erkrankungen schwierig. Am ehesten lässt sich sagen, dass bei der Hypochondrie das Hauptmerkmal die Furcht vor einer Krankheit ist, während bei den anderen Störungen das körperliche Symptom selbst im Vordergrund steht.

Grundlagen und Ursachen

Aus psychoanalytischer Sicht entsteht Hypochondrie durch innere Konflikte, die durch Schuldgefühle oder Angst verursacht werden. Zur Abwehr dieser Konflikte wird die Aufmerksamkeit auf körperliche Störungen verschoben, so dass eine Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Konflikten nicht mehr notwendig ist.

Es wird angenommen, dass die körperlichen Beschwerden symbolischen Charakter haben, so könnten z.B. Augenprobleme als Ausdruck dafür stehen, etwas nicht sehen zu wollen. Diese Annahme spiegelt sich auch in Ausdrücken wie Mir ist etwas auf den Magen geschlagen oder Das bereitet mir Kopfschmerzen wider.

Vor dem Ausbruch der Erkrankung sind die Betroffenen meist mit Informationen über Krankheiten in Kontakt gekommen, z.B. dadurch, dass eine Person aus dem Umfeld schwer erkrankt ist oder durch Berichterstattungen in den Medien.

Personen, die an Hypochondrie erkranken, zeigen oft schon vor Krankheitsbeginn eine hohe psycho-physiologische Reaktivität, d.h. zum Beispiel, dass sie auf Reize besonders schnell mit erhöhtem Herzschlag reagieren. Häufig berichten Betroffene, dass sie vor dem Auftreten der hypochondrischen Symptome unter Stress standen oder einschneidende Veränderungen in ihrem Leben eingetreten sind.

Unter diesen Umständen führt die Wahrnehmung körperlicher Erscheinungen, wie unregelmäßiger Herzschlag, Schwindelgefühle, Verdauungsprobleme oder Kopfschmerzen, die als vorübergehende Beschwerden völlig normal sind oder auf die erhöhte Belastung zurückgehen, zu der Annahme, dass diese Symptome Zeichen einer schweren Erkrankung sind.

Es zeigt sich, dass hypochondrische Patienten eine besonders niedrige Schwelle für körperliche Reize haben, also z.B. ihren Puls leichter wahrnehmen können als andere Personen. Die Idee krank zu sein führt zu der Erwartung, dass weitere Beschwerden auftreten werden, woraufhin die Betroffenen ihr körperliches Befinden sehr genau beobachten. Durch die Hinwendung zu möglichen Symptome und die daraus folgende Angst und Anspannung entsteht eine erhöhte physiologische Erregung – für die Patienten ein weiterer Beleg für ihre Krankheit.

Hypochondrische Patienten neigen dazu zu katastrophisieren, d.h. Ereignisse extrem negativ zu bewerten. So sehen sie die wahrgenommenen Symptome nicht als die einzelnen Beschwerden, die sie sind, sondern als Zeichen einer schweren Erkrankung. Diese entspricht oder ähnelt häufig der Krankheit, von der sie vor Beginn der Symptome durch ihr Umfeld oder die Medien gehört haben.

Die Betroffenen befinden sich in einem Teufelskreis: Die Gewißheit, krank zu sein erhöht ihren Stress und steigert die Aufmerksamkeit für ihre Beschwerden; meist versuchen sie in der Fachliteratur mehr Informationen über ihr Leiden zu finden – diese Faktoren wiederum führen dazu, dass weiterhin vermehrt Symptome wahrgenommen werden und verstärken die überzeugung, an einer bestimmten Erkrankung zu leiden.

Krankheitsverlauf

Grundsätzlich kann Hypochondrie in jedem Lebensalter beginnen, häufig tritt die Symptomatik aber zum ersten Mal im frühen Erwachsenenalter auf. Der Krankheitsverlauf ist oft chronisch, so dass die starke Beschäftigung mit körperlichen Beschwerden zu etwas wie einem Persönlichkeitsmerkmal des Betroffenen wird. Das Andauern der Erkrankung ist dann recht wahrscheinlich, wenn sie schleichend begonnen hat und der Betroffene durch sie bestimmte Vorteile (z.B. Schonung, Aufmerksamkeit) genießt.

Wer bekommt Hypochondrie?

Hypochonder sind häufig von Natur aus ängstliche und vorsichtige Menschen, die schon ihr gesamtes Leben Angst vor einer Krankheit hatten. Die Erziehung spielt hier eine entscheidende Rolle. Sollte das Thema Krankheit in der Familie, in der die Person aufgewachsen ist, eine zentrale Rolle gespielt haben (z. B. lebte ein chronisch Kranker in der Familie, oder es bestand in der Familie allgemein eine erhöhte Angst vor Krankheiten), so kommt es unweigerlich zu einer vermehrten Aufmerksamkeit in diese Richtung.

In manchen Fällen kann die Störung auch durch ein sehr schmerzhaftes Lebensereignis ausgelöst werden. Der Tod eines geliebten Menschen kann ein solcher Auslöser sein. Sowohl der unmittelbare Umgang mit dem Thema Krankheit, als auch ein solch schreckliches Lebensereignis führen zu massivem Stress. Man geht davon aus, dass bei der Entstehung der Hypochondrie sowohl soziale und psychische, aber auch biologische Faktoren eine Rolle spielen.

Eine allgemein gültige Erklärung besteht aber nach wie vor noch nicht. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung können als Hypochonder diagnostiziert werden. Dabei gibt es keine Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts oder des Alters. Dies steht nicht im Widerspruch zu der oben angeführten Tatsache, dass Hypochondrie kaum diagnostiziert wird. Das heißt nur, dass von den zehn Prozent nur ein Bruchteil offiziell die Diagnose Hypochondrie bekommt.

Therapie

Aufgrund der überzeugung, schwer körperlich erkrankt zu sein, begeben sich hypochondrische Patienten nur selten oder erst nach einem langen Krankheitsverlauf in psychotherapeutische Behandlung. Häufig wenden sie sich zunächst an ihren Hausarzt oder Internisten. Die Behandlung dieser Patienten ist für den Arzt oft ein Balanceakt: Es sollte eine gründliche Untersuchung stattfinden, da die geschilderten Symptome wirklich Hinweise auf eine körperliche Erkrankung sein können.

Oft ist für den Behandler aber recht schnell klar, dass die Beschwerden des Betroffenen keinen Krankheitswert haben. Der Patient wird diesen Befund aber anzweifeln und weitere Untersuchungen fordern. Lässt sich der Arzt trotz der Gewißheit, dass auch diese nicht zu Ergebnissen führen werden, auf die Forderung ein, unterstützt er damit die überzeugung des Hypochonders, an einer besonders schwer zu entdeckenden Krankheit zu leiden. Lehnt er die Forderung ab, wird der Betroffene wahrscheinlich den Arzt wechseln.

Was können Sie tun ?

  • Suchen Sie unbedingt einen Arzt auf, dem sie vertrauen.
  • Lassen Sie sich von ihm hinsichtlich Ihrer Symptome untersuchen. Sollte er eine körperliche Erklärung finden, so befolgen Sie seinen Therapievorschlag. Finden sich keine körperlichen Erklärungen, so besprechen Sie mit ihm Ihre weiter bestehenden Sorgen. Lassen Sie sich von ihm die Adresse eines Kollegen geben, der sich mit derartigen Störungen auskennt.
  • Vermeiden Sie auf jeden Fall ein ständiges Wechseln von einem Arzt zum nächsten.
  • Ein Arzt, der Sie gut kennt und dem Sie vertrauen, kann Ihnen deutlich besser helfen.
  • Versuchen Sie die Möglichkeit miteinzubeziehen, dass es sich bei Ihnen um keine rein körperliche Krankheit handelt, sondern dass psychische Komponenten mit eine Rolle spielen.

Informationsstellen: Hypochondrie

Wiener Landesverband für Psychotherapie Telefonische Beratung: Mo, Mi, Do 14.00 – 16.00, Sa 10.00 – 12.00 Uhr
Tel.: 01/Tel. 512 71 02
Internet: Wiener Landesverband für Psychotherapie

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Linktipps

Wikipedia: Hypochondrie
Small Penis Syndrome und Dysmorphophobie
Krankheiten erfinden
Psyche – Psychotherapie

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