Schmerzempfinden – Frauen leiden anders
Geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es nicht nur im Schmerzempfinden, sondern auch in der Bewältigung von Schmerzen und im Ansprechen auf Therapien. Darauf weisen jetzt Schmerzexperten aus Anlass der 4. Österreichischen Schmerzwoche hin und fordern, die Geschlechterunterschiede in der Therapie stärker als bisher zu berücksichtigen.
“Die moderne Schmerzforschung hat inzwischen belegt, dass Frauen häufiger unter Schmerzen als Männer leiden und öfter starke und chronische Schmerzen haben”, Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Kress, Vorstand der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin (B) mit Schmerzzentrum am AKH Wien (anerkanntes Center of Excellence), aus Anlass der 4. Österreichischen Schmerzwoche aktuelles Wissen in Sachen Geschlechtermedizin und Schmerz zusammen.
“Internationale Studien haben gezeigt, dass Frauen eine niedrigere Schmerzschwelle haben, sie können Schmerzarten auch besser unterscheiden als Männer.” Darüber hinaus wissen Forscher heute, dass die beiden Geschlechter Schmerzen unterschiedlich erleben, ausdrücken und verarbeiten.
Forscher der Universität von Michigan beispielsweise entdeckten in einem Experiment zur individuellen Schmerzreaktion Verblüffendes: Von den knapp 30 Probanden waren es vor allem die Männer, deren Schmerzhemmsystem auf Hochtouren lief.
Die 14 Frauen dagegen hatten nicht nur subjektiv mehr Schmerzen, ihre Endorphin-Ausschüttung war während des Schmerzreizes sogar gesunken, anstatt anzusteigen wie erwartet.
Inzwischen haben Schmerzforscher noch einige andere biologische Unterschiede im Schmerzverhalten beider Geschlechter entdeckt, darunter genetisch bedingte, hormonelle, aber auch in der Gehirnaktivität begründete:
Im November 2003 enthüllten PET-Aufnahmen der University of California, Los Angeles, , dass im weiblichen Gehirn ein Großteil der Schmerzverarbeitung im Limbischen System stattfindet, dem Sitz der Gefühle. Bei Männern dagegen sind die analytischen Zentren der Hirnrinde aktiver.
Männerschmerz wird eher ernst genommen
Frauen würden auch, so Prof. Kress, bei Schmerzen mehrheitlich früher medizinische Hilfe suchen als Männer. “Das ist zwar grundsätzlich eine positive Einstellung, bringt Frauen aber erfahrungsgemäß oft auch den Vorwurf der Wehleidigkeit ein.”
Während Frauen mehr über ihre Schmerzen sprechen, würden Männer eher versuchen, diese zu ignorieren. Andererseits, so zeigen Studien, würden Männer, wenn sie schmerzmedizinische Hilfe suchen, viel stärker als Frauen optimale, weit entwickelte Behandlungsmethoden einfordern. Prof. Kress: “Außerdem haben Studien gezeigt, dass Ärzte häufig die Schmerzen von Männern eher ernst nehmen als die von Frauen und sie daher entsprechend besser behandeln.”
Frauen leiden an anderen Dingen: erhöhtes Risiko für chronische Schmerzen
Die andere Art der Schmerzverarbeitung bei Frauen und ihre größere Empfindlichkeit für Schmerzreize ist auch mit einem erhöhten Risiko verknüpft, chronische Schmerzen zu entwickeln. Und führe dazu, so Prof. Kress, dass eine ganze Reihe von Schmerzformen, die bei Frauen stärker ausgeprägt sind als bei Männern, wie Gesichtsschmerzen, Fibromyalgie, Spannungskopfschmerz oder das Reizdarmsyndrom. All diese Schmerzformen gehen mit einer gesteigerten Schmerzempfindlichkeit einher.
Frauen benötigen höhere Schmerzmitteldosen
Auch dass Frauen höhere Schmerzmitteldosen benötigen als Männer, um zu Schmerzfreiheit zu kommen, ist inzwischen durch umfangreiche Untersuchungen belegt. Anhand des Schmerzmittelbedarfs nach einer Operation ermittelte etwa eine kolumbische Forschergruppe in Bogota Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Während die Männer nach 0,08 mg/kg Morphin bereits eine deutliche Besserung des Schmerzes empfanden, benötigten die Frauen hierzu immerhin 0,12 mg/kg des Opiats. Insgesamt zeigte sich, dass die Frauen im Aufwachraum einen um rund 30 Prozent höheren Morphinbedarf hatten, um das gleiche Ausmaß an Schmerzfreiheit zu erreichen, wie ihre männlichen Leidensgenossen.
Spiel der Hormone?
“Einige der Unterschiede können unter anderem mit dem Hormonsystem erklärt werden”, sagt Prof. Kress. Östrogene steigern die Aktivität des Nervensystems und verstärken die Weiterleitung schmerzhafter Impulse. Die männlichen Sexualhormone dürften dagegen eher dämpfend wirken. Letzteres gilt auch für das weibliche Gelbkörperhormon Progesteron. Prof. Kress: “Das erklärt auch das Phänomen, dass in einer ganz bestimmten Situation die Schmerzschwelle von Frauen massiv ansteigt: Vor und während einer Geburt wird ihre Schmerzempfindlichkeit deutlich hinaufgesetzt.”
Verstärkt in der Therapie berücksichtigen
Nach dem aktuellen Wissenstand müsse die Geschlechterdifferenz in der Schmerztherapie viel stärker berücksichtigt werden als bisher, fordert die Österreichische Schmerzgesellschaft. berücksichtigt werden, unter anderem, dass Frauen “schmerzempfindlicher” sind als Männer. Prof. Kress: “Das muss in der Praxis auch in die Schmerzmitteldosierung viel stärker einbezogen werden.”
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Linktipps
– Gendermedizin – geschlechtsspezifische Medizin
– Fibromyalgie (Faser-Muskel-Schmerz) | Krankheitslexikon
– Hormone – 28 Tage im Körper einer Frau
– PMS – das Prämenstruelle Syndrom
– Fibromyalgie – chronische Schmerzen
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– Schnecke hilft Schmerzpatienten
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