Ölziehen: Zahnhygiene mit Ayurveda?

1 Stern2 Sterne3 Sterne4 Sterne5 Sterne (21 Bewertungen, Durchschnitt: 4,43 Sterne von 5)

Ölziehen: Zahnhygiene mit Ayurveda?

Unter dem Begriff Ölziehen versteht man Mundspülungen mit Pflanzenölen, die nicht nur der Zahnhygiene dienen, sondern auch den Körper entgiften sollen.


Die Methode entstammt der traditionellen indischen Heilkunst Ayurveda und ist auch bei uns als alternativmedizinische Heilmethode nicht unüblich. Doch können ölige Mundspülungen bei der Zahnhygiene behilflich sein und wie sieht es mit der wissenschaftlichen Beurteilung dieser Methode aus?

Ölziehen – Artikelübersicht

Nicht selten kommt es bei gesundheitlichen Belangen zu Diskrepanzen zwischen den Standards moderner wissenschaftlicher Forschung und traditionellen Heilmethoden. Dies trifft auf verschiedene Bereiche der TCM oder Homöopathie zu, aber auch bei der ganzheitlichen indischen Heilkunst Ayurveda.

In dieser Form der Alternativmedizin ist das sogenannte Ölziehen eine gängige Praxis. Dabei werden durch den langen Verbleib von Pflanzenölen im Mund Schadstoffe und Bakterien vermeintlich „hinausgespült“. Vertreter und Vertreterinnen des Ayurveda sind von der Wirkung überzeugt. Die bisher publizierten Studien zum Ölziehen werden kritisch betrachtet.

Ölziehen: Anwendung und Prinzip der Ölkur

Glaubt man den Ausführungen der Ayurveda-Lehre, so kann eine Ölkur im Mund wahre Wunder bewirken. Ölziehen wird in ayurvedischen Schriften übrigens als Gandusha bezeichnet. Dafür kommt eine ölige Mundspülung zum Einsatz.

Mit Hilfe des Öls sollen die fettlösliche Stoffe, die sich in der Mundschleimhaut und im Rachen befinden, gebunden und danach dem Körper entzogen werden. Da sich unter diesen Stoffen auch Toxine und sogenannte Schlacken oder Schlackstoffe (ayur. Ama) befinden sollen, wird Gandusha im Ayurveda auch als eine wirkungsvolle Form der Entgiftung beschrieben. Ölziehen wird daher vor allem Rauchern und Menschen, die regelmäßig Alkohol konsumieren oder sich ungesund und einseitig ernähren, empfohlen.

Ablauf

Im Ayurveda wird empfohlen einen Esslöffel eines pflanzliches Öls wie Sesam-, Kokos- oder Olivenöl in den Mund zu nehmen und gut zu spülen.

Das Öl spült man nun etwa eine Viertelstunde durch die Mundhöhle, durch Zahnzwischenräume, an Schleimhäuten und der Zunge entlang. Dies soll Gifte und Bakterien lösen. Deswegen darf das mit Speichel vermengte Öl auch keinesfalls geschluckt, sondern soll in ein Taschentuch gespuckt und mit dem Müll entsorgt werden (Öl nicht mit dem Abfluss entsorgen, um das Abwasser nicht unnötig zu belasten).

Es wird übrigens beschrieben, den gesamten Vorgang morgens vor dem Zähneputzen und auf leeren Magen zu vollziehen.

Anschließend spült man Mund mit einem Glas Wasser aus und erst danach werden die Zähne geputzt.

Diese Art der Mundhygiene soll nicht nur Zähnen, Zahnfleisch und dem Rachen guttun, sondern auch bei Migräne, Asthma und einem schwachen Immunsystem helfen.

Hintergründe zu Ayurveda

Ayurvedische Lehrschriften finden sich bereits Jahrhunderte vor Beginn der christlichen Zeitrechnung und wurden seitdem kontinuierlich weitergetragen. Die indische Heilpraxis sieht sich nicht auf ein bestimmtes Gebiet der Medizin beschränkt sondern als ganzheitliches System.

Dementsprechend fließen Praktiken des Sports, der Massage, der Ernährung und der Philosophie in die ayurvedische Lehren mit ein. Dies unterscheidet Ayurveda klar vom westlichen Modell der Allgemeinmedizin, was sich in der wissenschaftlichen Rezension von den Nutzen der Ölkuren bemerkbar macht.

Mangelhafte wissenschaftliche Basis

In Indien, wird Ayurveda als Heilmethode auch wissenschaftlich gelehrt und wird dort von der Bevölkerung indestens genauso wie die westliche Schulmedizin akzeptiert.

Doch nicht alle Heilmethoden des Ayurveda sind in der klassischen westlichen Medizin unumstritten. Größter Kritikpunkt: die Behauptung, dass sowohl schädliche Bakterien wie auch Schadstoffe durch die öligen Mundspülungen gelöst werden können, ist wissenschaftlich nicht oder nur äußerst mangelhaft belegt.

Der Psychologe und Molekularbiologe Mag. Mag. Bernd Kerschner kritisiert die bisher durchgeführten Studien zum Ölziehen teilweise scharf. Bemängelt werden u.a. die beschränkte Studiendauer oder die geringe Anzahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Außerdem wurden drei der Studien (eine davon auf manchen Internetseiten als wissenschaftliche Quelle herangezogen) durch eine Produktionsfirma von Sesamöl finanziert, was als wissenschaftlicher Interessenskonflikt interpretiert werden kann.

Mag. Mag. Kerschner ist auch Mitarbeiter am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation an der Donau Uni Krems und verweist zusätzlich auf Einzelfälle in Studien, bei denen eine Lungenentzündung als Folge versehentlicher Einatmung von Öltröpfchen nachgewiesen wurde.

Auch Quellen, die dem Ölziehen freundlicher gesinnt sind, berichten von kurzzeitigen Nebenwirkungen beim Durchführen der Kur, wie z.B. Kopfschmerzen oder Übelkeit. Diese haben angeblich jedoch keine langanhaltende Schädigung des Körpers zur Folge.

Verschiedene Öle

Will man eine solche Kur dennoch für sich selbst ausprobieren, empfiehlt es sich für die Geldbörse zumindest auf sogenannte „Mundziehöle“ zu verzichten. Solche stellen eine Mischung aus verschiedenen Pflanzenölen dar, in der Regel werden sie noch angereichert mit Duft- und Geschmacksstoffen. Diese Art von Mischung scheint weder gesünder noch ungesünder als das Ölziehen mit reinen Pflanzenölen zu sein, wird von Anbietern stellenweise jedoch um den zehnfach teureren Preis des klassischen Sonnenblumenöls verkauft, mit dem man eine gleichwertige Ölkur wesentlich günstiger durchführen kann.

Bei der Auswahl des Öls ist grundsätzlich anzumerken, dass jedes Öl aufgrund seiner Inhaltsstoffe unterschiedlich wirkt und selbstverständlich auch unterschiedlich hohe Kosten anfallen.

Während im Ayurveda meist Sesamöl angeführt wird, empfehlen moderne Heilpraktiker gerne Kokosöl. Auch hochwertiges natives Sonnenblumenöl (zweifellos die günstigste Variante), Schwarzkümmelöl oder auch heimisches Leinöl sind denkbar.

Idealerweise sollte das Ölziehen jedenfalls mit Produkten von Firmen gemacht werden, die ein biologisches Siegel tragen. Besonders bei Ölen werden in Testungen von Plattformen wie Öko-Test immer wieder potentiell gesundheitsgefährdende Rückstände von Mineralölen gefunden. Biologische Produkte müssen zwar nicht ökologisch einwandfrei sein, werden jedoch unter strengeren Richtlinien hergestellt als konventionelle Ware. Und wenn man ein Öl schon 15 Minuten lang im Mund verweilen lassen will, so sollte dies zumindest so sicher wie möglich geschehen.

—————————

Quellen:

¹ Ölziehen: fettreiche Zahnhygiene ohne Wirknachweis (Medizin transparent)
² Ölziehen – wie macht man es richtig?

--------------------------

Fotohinweis: sofern nicht extra anders angegeben, Fotocredit by Fotolia.com (bzw. Adobe Stock)

Linktipps

– Was ist Ayurveda?
– Phytopharmazie: von der Heilkraft der Pflanzen
– Kokosfett & Kokosöl – gesund oder nicht?
– Leinöl und Cannabisöl – die unbekannten Speiseöle
– Wie Sie Ihr Zahnfleisch richtig pflegen
– Erfolg durch strahlendes Lächeln

Das könnte Sie auch interessieren …