Kindgerechte Arzneimittel
In den seltensten Fällen stehen Therapien speziell für Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Entsprechend ihres Gewichtes und ihrer Körpergröße ist es üblich, Dosierungen anzupassen. Weil Kinder physiologisch aber keine kleinen Erwachsenen sind, bedarf es eigener Studien zu Wirkweisen von Behandlungen bei Kindern und Jugendlichen, besonders wenn es um seltene Erkrankungen geht.
Spezielle Maßnahmen bei Arzneimitteln für Kinder
Was für erwachsene Menschen in den meisten Fällen als selbstverständlich wahrgenommen wird, stellt sich in Bezug auf Kinder als äußerst kompliziert heraus: Sicher verwendbare Medikamente! Entscheidend sind hierbei die anatomischen Unterschiede zwischen infantilen und ausgewachsenen Körpern. Aufgrund des noch unausgereiften Immunsystems, des anders funktionierenden Stoffwechsels und den permanenten biologischen Entwicklungsprozessen, ist bei der Herstellung und Testung von Kinderarznei äußerste Sorgfalt geboten.
Über kindgerechte Arzneimittel und Entstehung, Ziele und die Zukunft der Organisation OKIDS sprechen Prim. Univ. Prof. Dr. Reinhold Kerbl, Vizepräsident OGKJ, Prof. Dr. Ruth Ladenstein, Geschäftsführung und Leitung von OKIDS, Prof. Dr. Robin Rumler, Präsident von Pharmig, dem Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, Dr. Sabine Oberhauser, Gesundheitsministerin MAS und Prim. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Sperl, Präsident ÖGKJ.
Kindgerechte Arzneimittel – Interview mit Prof. Dr. Ruth Ladenstein & Kollegen
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Kindgerechte Arzneimittel – Interview mit Prim. Univ. Prof. Dr. Reinhold Kerbl, Univ. Prof. Dr. Ruth Ladenstein, Prof. Dr. Robin Rumler, Dr. Sabine Oberhauser, und Prim. Univ. Prof. Dr. Wolfgang Sperl.
Dr. Kerbl: Kindarzneimittel waren lange Zeit pharmakologische Stiefkinder und sind es genau genommen noch immer. Sie haben vielleicht ein paar „Zieheltern“ bekommen. OKIDS ist eine Form solcher Zieheltern. Stiefkinder sind sie wahrscheinlich deswegen, weil es relativ wenige Patienten gibt, die diese Kinderarzneimittel, insbesondere für seltene Erkrankungen, in Anspruch nehmen müssen und infolgedessen sind sie natürlich für breite Bereiche der Medizin, aber auch der Industrie nicht gar so interessant. Trotzdem sind sie aber für die Klientel, die diese Medizin benötigt umso wichtiger. Der ökonomische Nutzen ist für die Pharmafirmen relativ gering, der Bedarf überschaubar und infolgedessen ist der „Drive“ hier etwas zu tun nicht so sehr gegeben, auch nicht für die Gesundheitspolitik.
Ich glaube, dass gerade jene Kinder, die solche Erkrankungen haben, also krebskranke Kinder, extrem früh geborene Kinder oder Kinder, die seltene Antibiotika brauchen, ebenso berechtigt sind diese Arzneimittel zu bekommen und diese sind sicher anwendbar, wenn sie gut erforscht sind. Wenn wir davon sprechen, dass Kinder relativ selten Medikamente brauchen, muss man das vielleicht ein bisschen relativieren und sagen, dass Österreich immerhin circa 200.000 chronisch kranke Kinder hat, von denen auch ein Großteil regelmäßig Medikamente braucht. Medikamente bei der Zuckerkrankheit Diabetes mellitus, verschiedene Salben bei Neurodermitis, inhalative Medikamente bei Asthma bronchiale oder antikonvulsive Therapie im Fall von Epilepsie.
Also insgesamt sind es dann doch gar nicht so Wenige. Die Geschichte von OKIDS ist relativ lange, weil die österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde sich eigentlich schon sehr lange um ein solches Forschungsnetzwerk für Kinderarzneimittel bemüht und wir aber drei Ministerperioden gebraucht haben um es tatsächlich durchsetzen zu können. Ich bin sehr froh, dass es letztlich gelungen ist ein solches Netzwerk in Österreich zu haben, weil damit gewährleistet ist, dass Österreich die besten und sichersten Kinderarzneimittel bekommen wird.
Dr. Ladenstein: OKIDS geht auf das langjährige Bemühen der Kinderärzte zurück, weil wir erkannt haben, dass zu wenig Medikamente in einzelnen Indikationsbereichen zur Verfügung stehen. Das trifft speziell auf Bereiche der Neonatologie zu, mit etwa 90 Prozent von Medikamenten im Off-Label-Use. „Off-Label“ heißt in dem Zusammenhang, dass die Medikamente für die spezielle Altersklasse und Indikation nicht durchgetestet sind. Allerdings handelt es sich durchwegs um zugelassene Medikamente. In der Onkologie sind es circa 80 Prozent und im niedergelassenen Bereich bis zu circa 50 Prozent der Medikation.
Hier gibt es also eine echte Notwendigkeit etwas zu verändern. Dabei geht es um tägliche Medikamente, aber natürlich auch um solche, die bei diversen Krankheitsbildern eine neue Therapiechance bieten. Hierbei handelt es sich oft um neue Medikamente, die wir natürlich auch nach Österreich holen wollen um einen frühen Zugang zu neuen Heilungs- und Therapieoptionen zu schaffen. Getrieben aus dieser Motivation heraus haben wir über viele Jahre Gespräche mit dem Gesundheitsministerium gesucht und sind eine sogenannte Public-Private-Partnership letztendlich auch gemeinsam mit der Pharmaindustrie eingegangen, die ja verantwortlich im Zulassungsbereich ist. So ist OKIDS in vielen Arbeitsstunden und Diskussionen entstanden und jetzt als Struktur in Österreich als Kinderforschungsnetzwerk manifest geworden.
Dr. Rumler: Im Jahre 2013 wurde OKIDS gegründet. Die klare Intention war: Wir wollen ein Kinderforschungsnetz auf die Beine stellen, das die Erforschung an Kinderarzneien optimiert. Zwei Jahre sind ins Land gezogen (Stand: 16.10. 2015; Anm. d. Verf.) und das Netzwerk hat sich ganz klar etabliert. Wir haben in den ersten 18 Monaten des Bestehens mittlerweile bereits 21 Studien in diesem Land untergebracht und koordiniert, mit der klaren Aufsicht und Unterstützung des Netzwerks OKIDS. Ein ganz toller Erfolg!
Dr. Kerbl: Etwas, das ich persönlich als besonders positiv empfinde ist, dass OKIDS ein wirkliches Netzwerk ist, dem es gelungen ist, die österreichischen Forschungszentren, also die Universitäten und andere große Zentren, die mit Kinderarzneimitteln zu tun haben, wirklich zu verbinden und ein gemeinsames Anliegen zu verfolgen: Die Erforschung neuer Arzneimitteln für Kinder und Jugendliche und damit eine Qualitätsverbesserung.
Dr. Oberhauser: Wir fördern OKIDS mit einem sehr großen Förderbetrag von 750.000 Euro für die ersten drei Jahre. Ein wichtiger Punkt beim Kindergesundheitsdialog ist die Testung von Kinderarzneimitteln. OKIDS leistet wirklich gute Arbeit in der Frage der Vernetzung von Akteuren, also von ÄrztInnen, Eltern und PatientInneninitiativen. Das bedeutet, wir versuchen den Prozess voranzutreiben und ihm im Kindergesundheitsdialog einen wichtigen Platz zu geben.
Dr. Rumler: Heute stehen wir zwei Jahre nach der Gründung und blicken auf eine überaus erfolgreiche Zeit zurück. Wir haben insgesamt 18 Monate aktive Arbeitszeit hinter uns und 21 Studien bereits koordiniert und ins Leben gerufen. Ich denke, dass dies ein ganz fantastisches Zeichen dafür ist, was OKIDS leistet und leisten kann. In der Zukunft wollen wir natürlich noch viel mehr.
Dr. Sperl: Die aktuellen Ziele mit dem Erfolgsprojekt OKIDS sind nun wirklich umzusetzen, dass Studien auch bei Kindern durchgeführt werden und dass wir neue Medikamente einsetzen können. Es geht um seltene Medikamente, die den Kindern zugute kommen, sodass man wirklich mehr und mehr die Industrie dazu gewinnen kann mit zu machen. Das Andere ist natürlich, dass auch die Eltern informiert werden, sodass sie keine Ängste haben. Sie sollen merken, dass wir für die Kinder etwas tun und dass hier Studien zum Wohle der Patienten passieren. Es bedarf viel Information. Das heißt, Kollegen müssen darüber informiert werden, damit sie sich beteiligen und das Ganze fördern. Ich bin überzeugt, dass wir einen guten Start gehabt haben, aber wir werden das noch weiterführen. Die Grundvoraussetzung ist, dass wir europäisch vernetzt sind, somit können wir auch bei multizentrischen Studien mitmachen.
Dr. Ladenstein: Wir glauben, dass es notwendig ist, dass unsere Patienten gleich gut zugelassene Medikamente haben. Etwas, das wir bei Erwachsenen als selbstverständlich ansehen. Daher ist der Impuls von der Ärzteschaft ausgegangen aber letztendlich gemeinschaftlich mit allen Interessensgemeinschaften entsprechend diskutiert worden.
Dr. Oberhauser: Auf europäischer Ebene wurde ein Pädiatrieausschuss in der europäischen Arzneimittelzulassungsagentur gegründet, um sich genau mit diesem Thema auseinander zusetzen. In Österreich haben wir den Kindergesundheitsdialog und den Kindergesundheitsplan ins Leben gerufen. Ein Teil dieses Plans ist auch, dass wir uns darum bemühen, dass Kinderarzneimittel ordentlich erforscht werden. Über die europäische Kommission läuft derzeit ein Fragebogen an Kindern und Jugendlichen. In der Frage der Einverständniserklärungen für Studien muss man wirklich schauen, dass alles kind- und jugendlichengerecht aufbereitet wird und dass man Menschen findet, die bei den Studien mitmachen. Es laufen viele kleine Schritte dahingehend, dass Kinderarzneimittel auch sicher getestet werden können.
Dr. Ladenstein: Die Besonderheit an OKIDS ist, dass wir es aus der Förderung heraus geschafft haben, Personal zur Verfügung zu stellen. Wir haben in der ersten Laufzeit eigentlich erkannt, dass der größte Bedarf im klinischen Bereich und für die Unterstützung der Abwickelung dieser frühen Medikamentenstudien darin liegt, dass wir Personal brauchen, weil diese Studien sehr dokumentationsaufwendig sind. Wir haben einen hohen Aufklärungsbedarf und es bedarf mehr Kapazität im ärztlichen Bereich. Wichtig ist das Thema der Langfristigkeit. Wir sind für drei Jahre finanziert und haben wahrscheinlich gute Möglichkeiten bei einer Evaluierung zu reüssieren und für fünf Jahre eine Förderung zu erhalten.
Problematisch ist, dass Kinderstudien per Definitionen in ihren seltenen Bereichen ein sehr niedriges Patientenaufkommen haben. Das heißt, es bedarf eines hohen Einsatzes um eine Studie nach Österreich zu bringen, wobei aber leider auch der „Return of Investment“ klein ist. Das heißt, diese relativ junge Tochter der Gesellschaft wird Zeit brauchen um zu wachsen, im Vollbetrieb zu reüssieren und dann auch vom Wirtschaftlichen her sich selber tragen zu können. Das ist unser langfristiges Ziel. Wir sind eine Non-Profit-Organisation, das heißt es geht nicht um den Eigengewinn, sondern um eine Ressourcen-Rückführung. Somit reinvestieren wir alles, was wir aus einer Industriepartnerschaft zurückführen auch wieder ins Personal, im Sinne einer immer optimierten und verbesserten Studiendurchführung.
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Linktipps
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– Thema Kinderarzneimittel