Mandel- und Polypenoperationen bei Kindern – Dr. Reinhard Kürsten im Gespräch
Zahlreiche Eltern stellen sich die Frage: Braucht mein Kind eine Mandel- oder Polypenoperation? Über die möglichen Hintergründe von Problemen im Nasen-Rachenraum sprachen wir mit dem bekannten Wiener HNO-Spezialisten Dr. Reinhard Kürsten.
gesund.co.at: Herr Dr. Kürsten, was versteht man eigentlich unter Polypen bzw. Mandeln?
Dr. Kürsten: Polypen, eine volkstümliche Bezeichnung für Adenoide bzw. Rachenmandeln, sind ein Mandelgewebe, das im Raum hinter der Nase liegt. Davon zu unterscheiden sind die eigentlichen Mandeln – also die Gaumenmandeln, die sich beidseitig im Rachen befinden.
gesund.co.at: Welche Vorgänge finden im Raum hinter der Nase statt?
Dr. Kürsten: Die durch die beiden Nasenlöcher eingeatmete Luft strömt zunächst in den dahinter liegenden Nasen-Rachenraum. Von dort zweigen links und rechts zwei kleine „Röhrchen“ in Richtung Ohren ab, genannt „Tuben“ oder „Eustachische Röhren“. Diese sorgen für eine Belüftung des Mittelohrs. Dies kann man spüren, wenn man schluckt oder gähnt und sich das Ohr gleichzeitig öffnet und schließt. Was das Ohr betrifft, muss im Mittelohr der gleiche Luftdruck herrschen wie in der Außenluft, damit das Trommelfell – die Begrenzung zwischen Mittel- und Außenohr – frei schwingen kann. Findet der dafür notwendige Druckausgleich nicht oder nur unzureichend statt, stellen sich Hörprobleme ein.
gesund.co.at: In welchem Zusammenhang steht dies mit Polypen bei Kindern?
Dr. Kürsten: Bei Kindern ist es oft so, dass der Nasen-/Rachenraum von Polypen mehr oder weniger verschlossen ist und die Belüftung des Mittelohrs über die Tuben damit verhindert wird. Somit entsteht im Mittelohr ein Unterdruck, in etwa so, als ob man verschnupft mit der Gondel auf einen Berg fährt. Bleibt dieser Unterdruck längere Zeit bestehen, beginnt die Schleimhaut-Auskleidung im Mittelohr eine Flüssigkeit zu produzieren, das Mittelohr füllt sich mit dieser Flüssigkeit und die Kinder hören schlecht. Ein Problem, das ernst genommen werden muss, weil ein gutes Gehör für die Sprachentwicklung von enormer Wichtigkeit ist.
gesund.co.at: Welche organischen Funktionen können von Polypen noch beeinträchtigt werden?
Dr. Kürsten: Der zweite Problemkreis im Zusammenhang mit Polypen: Sie behindern die Nasenatmung, die Kinder bekommen durch die Nase schlecht Luft, wirken „ganzjährig verschnupft“, und atmen vorwiegend durch den Mund, was auch nicht gesund ist. Entzünden sich die Polypen dann noch, rinnt unentwegt Schleim in den Rachen, was zusätzlich zu Husten führen kann.
gesund.co.at: In welchem Alter sind Kinder hauptsächlich betroffen?
Dr. Kürsten: Die Problematik betrifft Kinder – mit Abweichungen – zumeist im Kindergartenalter, also zwischen drei und sechs Jahren. Dies ist jenes Alter, in dem die Kinder typischerweise mehrere Infekte im Jahr erleiden. In weiterer Folge wird oft die Frage aufgeworfen, ob eine Polypen- oder auch Mandeloperation sinnvoll sei.
gesund.co.at: Zunächst zur Polypenentfernung. Was raten Sie in der Regel?
Dr. Kürsten: Der typische Fall – ein Kind bekommt nach einem Infekt längere Zeit schlecht Luft – ist zumeist noch kein ausreichender Grund für eine OP. Man wartet zunächst einige Monate ab, und hält das Problem unvermindert an, kann man an eine Operation denken. Und dies auch nur dann, wenn sich erwarten lässt, dass die Entfernung der Polypen das Problem beseitigen kann. Wirklich angezeigt ist eine Entfernung der Adenoide, wenn die Sprachentwicklung des Kindes gefährdet ist, also wenn die Belüftungsstörung der Ohren dazu führt, dass sich im Mittelohr längere Zeit Flüssigkeit befindet oder wenn es gehäuft zu Mittelohrentzündungen kommt.
gesund.co.at: Polypen können nachwachsen – damit könnte das Problem von Neuem beginnen. Spricht dies gegen die Entfernung?
Dr. Kürsten: Dies spricht keineswegs gegen die Entfernung, denn selbst wenn die Gefahr besteht, dass ein Problem erneut auftritt, muss ich für den Akutfall eine Lösung finden. Man verweigert ja auch nicht den Friseur, weil man ohnedies weiß, die Haare würden wieder nachwachsen.
gesund.co.at: Oft wird zur Behebung der Ohrprobleme auch der Einsatz von Paukenröhrchen als Alternative erwogen. Wie stehen Sie dazu?
Dr. Kürsten: Paukenröhrchen sind kleine Röhrchen, die zur Belüftung des Mittelohrs ins Trommelfell eingesetzt werden. Ich bin hier sehr zurückhaltend. Denn bei eingesetzten Paukenröhrchen ist strengstens darauf zu achten, dass kein Wasser in die Ohren gelangen kann – bei Kindern fast ein Ding der Unmöglichkeit. Überdies kommt es – wenn auch sehr selten – vor, dass, wenn das Röhrchen wieder heraus fällt, sich die Lücke nicht mehr vollständig schließt. Paukenröhrchen empfehle ich daher erst dann, wenn trotz Polypenoperation und nötigenfalls Absaugen von Flüssigkeit über eine kleine Trommelfellperforation Ohrprobleme verbleiben.
gesund.co.at: Nun zur Entfernung der Gaumenmandeln: In welchen Fällen wird dies in Erwägung gezogen?
Dr. Kürsten: Die Entfernung der Gaumenmandeln wird heute seltener durchgeführt als früher, unter sechs Jahren nur in Ausnahmefällen. Aus meiner Sicht ist die Tatsache, dass ein Kind häufig kränkelt, noch lange kein Grund für eine Mandelentfernung. Tatsächlich angezeigt ist eine Operation erst dann, wenn das Kind zwei Jahre hintereinander mehrmals – die HNO-Gesellschaft meint fünf Mal – an einer richtigen Angina erkrankt oder wenn die Mandeln aufgrund ihrer Größe zum Atemhindernis werden. Wenn nur die Größe das Problem ist, reicht in den meisten Fällen eine sogenannte Tonsillotomie, also eine Verkleinerung der Mandeln. Grundsätzlich gilt für mich: es ist immer der kleinstmögliche Eingriff durchzuführen.
Zusammengefasst kann man sagen: Die Gründe, in denen eine Operation von Polypen bzw. Mandeln unbedingt angezeigt sind, sind eine deutliche und länger dauernde Beeinträchtigung der Atmung sowie Ohrenprobleme, die die Gefahr einer verzögerten Sprachentwicklung in sich bergen.
gesund.co.at: Worauf ist zu achten, wenn nicht operiert, sondern eine konservative Therapie gewählt wird?
Dr. Kürsten: Bei Infekten im Rachenraum sollte bei reiner Halsentzündung durch einen Abstrich festgestellt werden, ob die Erkrankung auf ein Virus oder auf Bakterien zurückzuführen ist. Antibiotika wirken nur gegen Bakterien und sollten daher nicht „automatisch“ und möglicherweise unnötig verschrieben werden. Ein Schnupfen ist zunächst immer durch Viren verursacht, und selbst bei Mittelohrentzündungen findet man häufig (unter ärztlicher Anleitung) ohne Antibiotikum das Auslangen.
Interview: Mag. Thomas Schellenberger
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Linktipps
– Mandel- und Polypenoperationen bei Kindern (Audio-Podcast)
– Mandelentzündung bei Kindern
– Was tun gegen Schnarchen?
– HNO-Ärzte Österreich
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