Corona-Infektionen in Österreich: das tatsächliche Ausmaß ist unbekannt
Ein sehr präziser, allerdings auch sehr aufwühlender Artikel des Instituts für Höhere Studie zeigt das Problem: wir tappen derzeit regelrecht im Dunkeln.
Kurzfassung: die täglich veröffentlichten Infektionszahlen sagen nichts über den tatsächlichen Stand der Infektionen aus, denn es sind lediglich die Zahlen, die getestete Personen betreffen. Die Dunkelziffer ist ungleich höher.
Zur Veranschaulichung: am 17. März 2020 lag die Fallzahl der positiv getesteten Personen bei 1.332 (wohl gemerkt dies bezieht sich nur auf tatsächlich getestete Personen, nicht die Gesamtbevölkerung) – die Dunkelziffer der in Österreich tatsächlich infizierten Personen lag zu diesem Zeitpunkt nach Schätzungen des IHS bei rund 54.500. Inzwischen sind schon wieder einige Tage vergangen.
Damit ist aber auch das individuelle Risiko, sich zu infizieren, deutlich höher als es die positiv getesteten und publizierten Fälle nahelegen.
Wieviele Menschen tatsächlich in Österreich infiziert sind ist unbekannt
Wie hoch der Infektionsgrad tatsächlich ist, kann nur eruiert werden, wenn es eine großflächige, repräsentative Testung in ganz Österreich gibt. Dafür fehlen allerdings derzeit die Kapazitäten.
Eine sehr gute Zusammenfassung am Ende des IHS Artikels verdeutlicht die Lage und kommende Anforderungen sehr einprägsam.
>> Ein Blick in die Glaskugel (Institut für Höhere Studien) |
Regierung will Testkapazität stark steigern – Update 24|3|20
Nachdem die Forderungen nach einer drastischen Erhöhnung der Testungen immer lauter wurden, hat die Regierung in Österreich nun eingelenkt und angekündigt, die Kapazitäten für die Coronavirus-Tests stark zu steigern. Offensichtlich hat die regierung verstanden, dass es unbedingt notwendig ist, über ein solides Zahlenmaterial zu verfügen, um die tatsächliche Ausbreitung des Virus hochrechnen zu können. Bisher wurde darauf verwiesen, dass die Kapazitäten dafür nicht ausreichen würden.
Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte in einer Pressekonferenz am Dienstag, dass er die Bundesländer und den Gesundheitsminister ersucht hat, alles zu tun, um die Kapazitäten zu steigern. „Es wird gelingen, die Kapazitäten auf rund 15.000 pro Tag auszubauen.“ Darüber hinaus werde man auf Schnelltests setzen.
Momentan befinde man sich in der „Endabstimmung“, um die Möglichkeit zu schaffen, „Hunderttausende Menschen breitenwirksam zu testen“. Dabei werden diese Tests nicht dieselbe Qualität haben – das sei jedoch die einzige Möglichkeit, „Hunderttausende und nicht nur wenige zu testen“, so Kurz.
Gefragt, wie es um die Dauer der Beschränkungen stehe, bat der Kanzler um Geduld bis zumindest Freitag 27.3.20. Dann sollten einmal jene Zahlen vorliegen, die den 2-wöchigen Zeitraum der Ausnahmebestimmungen und Kontaktbeschränkungen umfassen. Auf Basis dieser Zahlen will die Regierung dann darüber informieren, „wie stark die Maßnahmen greifen“ – und mit welchem Szenario zu rechnen sei.
Großflächige Tests in Island sollen neue Erkenntnisse bringen – Update 25|3|20
Island geht das oben angesprochene Problem aktiv an. Neben den Tests der staatlichen isländischen Behörden, die sich dabei allerdings nur auf Personen mit Symptomen sowie Rückkehrer aus Risikogebieten beschränken, wird parallel dazu vom Institut deCode Genetics ein neuer Weg beschritten.
„Es geht darum, einen Einblick in die tatsächliche Häufigkeit des Virus in der Bevölkerung zu gewinnen“, so Chefepideimologe Thorolfur Gudnason. Anders als in den meisten anderen Ländern, wurden bei den großangelegten Tests die Personen aber zufällig ausgewählt – sie sind also repräsentativ für die Bevölkerung.
Wichtig ist, dass die Gruppe der Befragten so zusammengestellt ist, dass sie etwa der Altersstruktur, der Geschlechterverteilung, Einkommens- und Bildungsstruktur oder der Verteilung der Bevölkerung über die Regionen des Landes entspricht.
Bis Dienstagmittag wurden in Island so an die 5.600 Personen von der Forschungsinstitution deCode Genetics getestet. Mit dieser Methode möchte man herausfinden wie hoch die Infektionsrate im Land tatsächlich ist. Die Ergebnisse dieser Tests sollen es dann ermöglichen die Anzahl bereits infizierter Personen möglichst genau hochzurechnen.
Da die meisten Staaten ihren Fokus in puncto Tests aktuell rein auf Personen mit Symptomen einer Erkrankung legen, waren eindeutige wissenschaftliche Erkenntnisse bisher auch kaum möglich. Vor allem ist es dadurch unmöglich herauszufinden, mit welcher Dimension das Land konfrontiert ist und wie die Immunisierung im Land bereits fortgeschritten ist.
Es wird immer offensichtlicher: Die wichtigste Maßnahme zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie wären möglichst viele und flächendeckende Tests. Denn nur so können ansteckende Personen rechtzeitig identifiziert, isoliert und behandelt werden. Beim Personal von Spitälern, Altersheimen oder Supermärkten wäre das besonders wichtig.
Mittlerweile dürfte die Bedeutung von großflächigen Tests auch in der Wissenschaft immer eindeutiger positiv bewertet werden. Erste wissenschaftliche Publikationen zeigen etwa, dass – wie am Beispiel Island sichtbar – ein wesentlicher Anteil der Infizierten keine oder nur sehr milde Symptome aufweist. Diese asymptomatischen Krankheitsverläufe haben oftmals in weiterer Folge großen Anteil an der unkontrollierten Ausbreitung des Virus.¹
Es muss allerdings festgehalten werden, dass großflächige Tests, wie es sie in Island, Südkorea oder Singapur gibt, für die meisten Länder derzeit kaum umsetzbar sind, das gilt auch (noch) für Österreich. Grund dafür ist vor allem der Mangel an Tests. Allerdings will Österreich diesem Problem auch mit anderen Methoden entgegenwirken, etwa Stichprobentests oder Pooling. Diskutiert wird aktuell besonders über sogenannte Pool-Tests (Pooling).
Die Idee ist ein simpler mathematischer Ansatz: Anstatt jede einzelne Probe zu analysieren, fasst man sie in Pools zusammen, zum Beispiel jeweils 25 Proben. Aus 25 zufällig zusammengefassten Proben wird ein Teil der Substanz entnommen (nur ein Teil, damit die Probe nachher noch einmal analysiert werden kann) und in einen gemeinsamen Topf (“Pool”) geworfen.
Dann wird dieser Pool analysiert. Der entscheidende Punkt: Wenn der Test negativ ausfällt, dann ist das Testergebnis, dass alle 25 Personen negativ sind. Man kann sich also dem nächsten Pool zuwenden. Wenn der Test positiv ausfällt, dann müssen die 25 Proben jeweils einzeln analysiert werden.
Ohne an dieser Stelle auf die weiteren Details einzugehen, bedeutet es letztlich bei einer derartigen Poolgröße, dass um eine Gruppe von 1.000 Leuten zu testen, nur nur noch überschaubare 67 Analysen benötigt würden. Das Problem liegt im Detail herauszufinden, wie groß die tatsächliche Poolgruppe sein muss und dass die Positiv-Wahrscheinlichkeit bei getesteten Personen, die keine Symptome zeigen, unter einem Prozent liegt.²
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Quellen:
¹ Stichprobentests: Licht in die Dunkelziffer (orf.at)
² Wie Corona-Tests viel effizienter werden könnten
Linktipps
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