Phagen als Arzneimittel gegen bakterielle Infektionen

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Phagen gegen bakterielle Infektionen

Resistenzen gegen Antibiotika nehmen weltweit zu. Um dieser Herausforderung zu begegnen, ist die Entwicklung alternativer Therapien dringend erforderlich. Eine mögliche Alternative: Phagen, die multiresistente Bakterien fressen und sogar gezielter eingesetzt werden könnten als Antibiotika. Um die Forschung in diesem Bereich anzukurbeln fördert das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung ein neues Projekt mit knapp vier Millionen Euro.


Mit dem Ziel, Bakteriophagen (kurz: Phagen) als zugelassenes Arzneimittel gegen bakterielle Infektionen zu etablieren haben sich das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM), das Leibniz-Institut Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ), die Charité – Universitätsmedizin Berlin und die Charité Research Organisation (CRO) zusammengefunden und das Projekt „Phage4Cure“ ins Leben gerufen.

Bakteriophagen oder Phagen (griech. Phagos = Esser) sind Viren, die Bakterien infizieren und so für therapeutische Zwecke in der Medizin – besonders als Antibiotikaersatz – genutzt werden können. Das Wissen um dieses Potenzail gibt es schon länger, allein die Anfälligkeit der Phagen gegenüber menschlichen Abwehrzellen stand bisher dem erfolgreichen Einsatz im Wege.

Die Idee, Viren als Heilmittel zu nutzen, hatte sich bereits um 1920 verbreitet, doch sich nicht auf Dauer durchsetzen können. Vom Westen weitgehend unbemerkt überlebte die Methode jedoch in einigen Ländern des früheren Ostblocks und besetzte in der Behandlung bakterieller Infektionen eine Nische neben den Antibiotika. Im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen sind Phagen – natürlich vorkommende Viren, die bestimmte Bakterien angreifen und fressen – in den Fokus der Forschung geraten.

Bakteriophagen als zugelassenes Arzneimittel etablieren

Das Ziel des deutschen Forschungsprojekts „Phage4Cure“ ist es, im Kampf gegen Infektionen Bakteriophagen als zugelassenes Arzneimittel zu etablieren. Bakteriophagen sind Viren, die hochspezifisch Stämme einer bestimmten Bakterienart erkennen und befallen und diese schließlich zerstören. Vor allem im osteuropäischen Raum werden Phagen bereits seit Jahrzehnten erfolgreich als Alternative und Ergänzung zur klassischen Antibiotikatherapie eingesetzt. Allerdings sind sie in der Europäischen Union bislang nicht als Arzneimittel zugelassen.

Gründe sind unter anderem fehlende Qualitätsstandards in der Herstellung, die für eine Zulassung durch die Arzneimittelbehörden unerlässlich sind. Außerdem muss zunächst in systematischen klinischen Studien nachgewiesen werden, dass die Therapie mit Phagen sicher, verträglich und wirksam ist. Das umzusetzen, haben sich die Projektpartner zum Ziel gesetzt.

Forschungsprojekt im Detail

TDie Wissenschaftler werden mit Bakteriophagen arbeiten, die sich spezifisch gegen das Bakterium Pseudomonas aeruginosa richten. Dieses Bakterium ist sehr häufig multiresistent und kann unter anderem eine Lungenentzündung auslösen. „Unser mittelfristiges Ziel ist es, Phagen als neuartige und zusätzliche Therapie für verschiedene Infektionskrankheiten und in unterschiedlichen Verabreichungsformen als Arzneimittel zu entwickeln – insbesondere da, wo Antibiotika gegenwärtig an ihre Grenzen gelangen“, sagt Dr. Holger Ziehr, Projektkoordinator und Leiter der Pharmazeutischen Biotechnologie am ITEM.

In dem Projekt „Phage4Cure“ bearbeiten die vier Partner mit ihrer jeweiligen Expertise verschiedene Aspekte. Am DSMZ wird die Arbeitsgruppe von Dr. Christine Rohde gegen Pseudomonas aeruginosa gerichtete Bakteriophagen identifizieren und genetisch charakterisieren. „Es gibt viele verschiedene Pseudomonas-aeruginosa-Stämme, die sich jeweils nur leicht voneinander unterscheiden.

Die Herausforderung ist, Phagen mit einem möglichst breiten Wirtsspektrum zu finden“, erläutert die Wissenschaftlerin. Diese Phagen werden dann zur weiteren Hochaufreinigung und pharmakologischen Herstellung an das ITEM übergeben. Dort wird das Team von Dr. Ziehr einen sogenannten plattformartigen Herstellungsprozess für Phagen-Wirkstoffe entwickeln. Das bedeutet, dass der Herstellungsprozess auch auf andere Phagen übertragbar sein wird. Außerdem führen Wissenschaftler am ITEM die präklinischen Prüfungen durch.

Weitere präklinische Untersuchungen werden an der Charité von Wissenschaftlern um Prof. Dr. Martin Witzenrath, Stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie, durchgeführt. Er ist darüber hinaus an der Konzeptionierung, Planung und Durchführung der klinischen Prüfung beteiligt. „Infektionen der Lunge durch Antibiotika-resistente Bakterien stellen zunehmend ein klinisches Problem dar. Wir hoffen, Patienten zukünftig mit Phagen helfen zu können“, sagt Witzenrath.

Auf der Forschungsstation der CRO wird die klinische Studie durchgeführt. Darüber hinaus wird die CRO das Gesamtprojekt organisatorisch und regulatorisch begleiten, den engen Kontakt zu den Arzneimitteloberbehörden pflegen sowie das Datenmanagement, die Statistik und die Erstellung des klinischen Studienreports übernehmen. Dr. Andreas Hüser, Leiter Projektmanagement: „Die Charité Research Organisation ist auf derartige Studien spezialisiert und wir freuen uns außerordentlich, dieses wichtige Projekt mitzugestalten. Die Konstellation der Projektpartner ist einzigartig“.

Phagen als Hoffnungsträger der Medizin

Phagen benötigen Bakterien um sich zu vermehren und die Bakteiren werden dabei zerstört. Was so einfach klingt, ist in der Realität leider komplex, denn natürlich können Phagen auch überall dort Schaden anrichten, wo bakterielle Prozesse dem Menschen dienen. Zusätzlich war es ein historisches Problem der Phagentherapie, dass therapeutische Erfolg nach Abschluss der Behandlung – wie in der Zeit der frühen Phagentherapie – nur aufgrund der klinischen Beobachtung definiert wurde. Kontrollgruppen und differenzierender Wirksamkeitsnachweis wurden bei Behandlungserfolgen oftmals ausgelassen. Behandlungen mit Phagen waren erfolgreich, wenn der Patient keine Krankheitssymptome mehr zeigte. Damit wurden aber andere Einflüsse als Ursache eines Heilungserfolges ignoriert – ein Problem in der Forschung.

Durch die Dringlichkeit neue Mittel im Kampf gegen multiresistente Keime zu finden, rückte die Phagentherapie Ende der 1980er Jahre dennoch wieder in den Fokus. Mit der Erkenntnis darüber, dass bestimmte Phagengruppen nur bestimmte Bakterien angreifen (anders als etwa Breitbandantibiotika, die alle Bakterien angreifen), nämlich nur die krankmachenden, hat die Forschungsaktivität auch international zugenommen. Die EU etwa hat 2015 ein Forschungsprojekt mit knapp 4 Mio. Euro unterstützt, bei dem Forscher versuchen mithilfe von Phagen, bakterielle Infektionen bei schweren Verbrennungen zu verhindern.

Bei einem anderen Projekt entwickeln EU-Forscher nun neue antimikrobielle Materialien, um die Adhäsion und Vermehrung von Bakterien durch Viren (Bakteriophagen) zu verhindern, die dann als antimikrobiell beschichtete Wundverbände zum Einsatz kommen können.

Dennoch ist das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft, es müssten regulatorischen Voraussetzungen für neue Studien geschaffen werden, die wiederum das notwendige Engagement pharmazeutischer Unternehmen fördern würden.

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Quellen:

¹ Die Phagentherapie und das Problem ihrer Verwirklichung (Benedikt Johannes Hänggi)
² Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie Charité – Universitätsmedizin Berlin
³ Biofilme auf chirurgischen Implantaten (EMBEK1 EU-Projekt)

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Linktipps

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