Barrierefrei Surfen für Menschen mit Sehbehinderungen?

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Barrierefrei Surfen für Menschen mit Sehbehinderungen

Informationen suchen, Artikel lesen, mit Menschen in Kontakt treten – seit Jahren ist das Internet ein Massenmedium. Wir benutzen es nicht nur beruflich, auch im Privatleben hat es einen enormen Stellenwert eingenommen. Doch sind die “unbegrenzten Möglichkeiten” im World Wide Web tatsächlich für alle zugänglich? Oder gibt es nach wie vor Barrieren beim Surfen für Menschen mit Sehbehinderungen?


Apple gilt als Vorreiter in Sachen Barrierefreiheit, indem der Betrieb einen wesentlichen Schritt durch automatisch mitgelieferten Bedienungshilfen setzte: auf jedem iPhone gibt es Funktionalitäten für blinde Menschen, man muss sie nur aktivieren. Durch die große Anzahl der verkauften Geräte wurde Geld in Barrierefreiheit investiert und im Vornhinein mitkonzipiert. Für die über 318.000 von Sehproblemen betroffenen Österreicher und Österreicherinnen und geschätzten 30.000 blinden Menschen, bedeutet das eine wichtige Inklusion.

Rechtliche Vorgaben

Im Bundesgesetz über die Gleichbehandlung ist festgehalten worden, dass niemand aufgrund einer Behinderung benachteiligt sein darf. „Bis 2016 müssen Richtlinien zur Barrierefreiheit eingehalten werden“, erklärt Eva Papst, Leiterin des Braille-Blindendruckverlags. Diese erfolgen in drei Schritten, wobei Seiten, die durch öffentliche Gelder (teil-)finanziert werden, den Mittelstatus erreichen müssen:

1. „Must have“, die Basics,
2. „Should have“ , welche die Bedienung erleichtern und
3. „Nice to have“, wer eine komplett barrierefreie Webseite erstellen möchte. Es gibt insgesamt 14 Richtlinien, aber nur 4 bis 5 reichen meist aus, um eine Seite für Blinde navigierbar zu machen.

„Aber wo kein Kläger, da kein Richter!“, bedauert sie, dass man im Falle einer Benachteiligung bei einer Klage beweisen muss, dass man einen finanziellen Nachteil erfahren hat. Dies ist zwar bei einer Flugbuchung, in Online-Ticketshops oder bei Verkehrsanbietern der Fall, der Verlust von Informationen oder Zeit ist aber selten zulässig.

Doch wie kann man sehbehinderten Menschen den Zugang zu Internetseiten möglich machen? Die einfachste Antwort lautet: durch gute Navigierbarkeit und die Übersichtlichkeit der inhaltlichen Angebote. Barrierefreiheit beginnt bei den Dateiformaten.

Fehlendes Problembewusstsein bei Programmierern

Wenn Blinde ein PDF-File bekommen, das eigentlich ein gescanntes Blatt enthält, dann ist diese Datei nicht zugänglich, da dies ein Bild ist und kein Text. Wenn aber eine Textdatei auf Word als PDF abgespeichert wird, ist diese für die Vorlese-Software von sehbehinderten Menschen, die sogenannten Screen Reader, lesbar. Das gilt allerdings nur, wenn Formatvorlagen für Tabellen oder Überschriften richtig benutzt werden. „Magazine sind schwierig zu lesen, weil Fotostrecken oft beschriftet online gestellt werden. Das ist schade!“ findet Frau Papst. Wenn man sich nicht auskennt, kann man ziemlich viel falsch machen: wie Menschen, die eine tolle Grafik machen, mit Text, und das dann fotografiert hochladen und nicht beschriften: Blinde werden nichts lesen können.

Es hängt von der Art der Aufbereitung ab, also von der Programmierung einer Webseite ab, wie und ob sehbehinderte Menschen surfen können. Es gibt Standards wie das „W3C“ , es halten sich aber nicht alle dran, da Webseiten oft zu schnell geplant werden und oberflächliche Tools zur Webgestaltung, die nicht auf die Zugänglichkeit wert legen, benutzt werden. Es braucht gute Tags, damit sich Blinde zurechtfinden können. Um Fehler von Beginn an oder bei einem Relaunch zu vermeiden, empfiehlt Erich Schmid, Mitglied im Österreichischem Blinden und Sehbehindertenverband, sich beim Planen Zeit zu lassen.

„Mein Tipp ist die 40-30-30-Regel. Wobei zuerst die Planung, dann die Codierung, das Eintippen des Programmes und dann das Testen erfolgt!“ Das hat durchaus für aller User Vorteile. „Denn die Pflege eines barrierefreien Webseite ist deutlich einfacher als die mit keiner: man muss mehr Know-How reinbuttern, aber in der Pflege rentiert sich das!“

Längerfristig besser, da es einfacher zu verwenden ist und mehr Menschen darauf zugreifen können: die etwas höheren Anschaffungskosten relativieren sich mit der Zeit danach, da sich Fehler später leichter ausbessern lassen.

Doch was macht Seiten denn wirklich zugänglich? „Wenn die Funktionalität steigt, dann auch die Möglichkeit Fehler einzubauen!“ lacht Eva Papst, die Konzepte für Barrierefreiheit entwickelt. Die Herausforderung besteht darin, gut zugängliche Seiten auch „Usable“, also nutzbar, zu machen. Denn obwohl Überschriften gut ausgezeichnet sind, kann schon ein Kalender auf der Startseite für Blinde eine Erschwernis darstellen: denn jeder Tag des Monats ist für Sehbehinderte ein eigener Link, im schlechtesten Falle also 31 nicht überspringbare, auswählbare. „Es verzweifeln ja oft genug auch Sehende an komplexen Webseiten: Barrierefreiheit ist einfach eine ausgebaute Userbility!“ beschreibt der langjährige Informatiklehrer und Programmierer Schmid.

Durch die Komplexität der Anwendungen sind beispielsweise Einkaufsmöglichkeiten im Internet besonders schwer zu navigieren: zu kleine Abstände beim Klicken, unauffällige Buttons und ungenaue Beschriftungen seien auch für Menschen ohne Augenprobleme verwirrend. Dagegen können einfache Erklärungen Menschen inkludieren: wenn bei Formularen „Schritt 1 von 5“ stehe, sei das ist für alle User hilfreich.

Abgemagerte, mobile Webseiten sind im Allgemeinen besser zu lesen: Animationen und riesige Grafiken fallen weg, alles ist auf das Wesentliche reduziert. Für die Bedienbarkeit von Apps ist es am Besten, wenn nur Artikelinhalt, Bilder und Kategorisierungen der Themen zu sehen sind, Werbungen und Gewinnspeile weg zu blenden ist eine gute Möglichkeit, Blinden den Weg in die Online-Welt zu erleichtern.

Für die digitale Zukunft wünscht sich die Leiterin des Blindendruckverlags vor allem eins: Awareness – also ein gesteigertes Problembewusstsein in der Angelegenheit. „Die Sensibilität, sich auf Barrierefreiheit einzulassen und es dann umzusetzen.“

5 Tipps für barrierefreie Websites

  1. Trennung von Inhalt und Layout
  2. Seite muss mit Tastatur bedienbar sein (mit Tabulator von Link zu Link springen können), Link optisch kennzeichnen „Mutter-Test: wenn die alte Mama das nicht kann, ist sie nicht bedienbar“
  3. Mark-Up!: Vernünftige Formatierungen: Überschriften, Tabellen, Formulare, Listen, Grafiken beschriften
  4. Kontrastreicher gestalten: grau-in-grau und Pastelltöne sind schwer auseinanderzuhalten
  5. Sprache einfach gestalten, externe Menschen die Seite testen lassen, sonst droht „Betriebsblindheit“

Hinweis in eigener Sache

Auch unser Portal ist trotz großer Anstrengungen keineswegs barrierefrei, immer wieder zwingen technische Notwendigkeiten (das verwendete Contentmanagementsytem, Darstellungsoptionen der Werbung, eingebaute Formulare und Sonderfunktionen usw.) zu Kompromissen. Schritt für Schritt verabschiedet man sich bei der Realisierung des Erscheinungsbildes von den ursprünglich hehren Zielen.

Aktuell können wir unseren Besuchern aber eine – wie wir meinen – durchaus akzeptable Alternative anbieten, nämlich die Verwendung der Mobilversion von gesund.co.at. Diese ist den Anforderungen von Abfragen über mobile Endgeräte angepasst (Smartphones, Tablets, usw.) und daher programmiertechnisch von – für Blinde und sehbehinderte Menschen – unnötigem grafischen Ballast befreit. Zu finden unter: m.gesund.co.at

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Quellen:

¹ Bundes Blindenerziehungsinstitut
² Richtlinien für barrierefreie Webinhalte (WCAG) 2.0

Fotohinweis: sofern nicht extra anders angegeben, Fotocredit by Fotolia.com (bzw. Adobe Stock)

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Linktipps

– Was eine gute Sehleistung für die Lebensqualität bedeutet
– Sehschwäche: die richtige Therapie wirkt Wunder
– Kontaktlinsen heute: Korrektur & Komfort
– Online-Sehtest

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