Den Ursachen des plötzlichen Kindstodes auf der Spur?
Der Plötzliche Kindstod ist die häufigste Todesursache bei Kindern im ersten Lebensjahr. In den entwickelten Industrieländern werden etwa 40 Prozent der Todesfälle von Säuglingen unter diesem Begriff zusammengefasst. Statistisch stirbt einer von tausend Säuglingen diesen geheimnisvollen Tod, der plötzlich und ohne vorherige Anzeichen während des Schlafes eintritt.
über Ursachen wurde bisher bestenfalls spekuliert. Eine Innsbrucker Forschergruppe am Institut für Biochemische Pharmakologie, geleitet von Hans-Günther Knaus, hat nun einen möglichen Zusammenhang zwischen jener Atemschwäche, die zum Plötzlichen Kindstod führt, und der überaktivität eines bestimmten Ionenkanals in den Nerven- und Muskelzellen entdeckt. Allerdings, sagt Knaus, sei es bis zur Entwicklung eines Medikaments noch ein weiter Weg.
Das Institut in der Peter-Mayr-Straße grenzt an das weitläufige Areal der Innsbrucker Universitätsklinik an. Schwerpunkt der hier betriebenen Grundlagenforschung, die vom FWF unterstützt wird, ist die Untersuchung der Funktion der Ionenkanäle im Zellgewebe. Die zahlreichen verschiedenen Kanäle sorgen in elektrisch erregbaren Geweben (Nerven- und Muskelzellen) zum Beispiel dafür, dass in wenigen Millisekunden ein Befehl des Gehirns, das linke Knie abzuwinkeln, dort angekommen ist. Während drei Forschergruppen sich mit Kalzium-Kanälen beschäftigen, konzentriert sich Knaus auf die Kalium-Kanäle. Bei deren Untergruppe, den Kalzium-aktivierten Kalium-Kanälen, wird zwischen solchen mit großer, mittlerer und niederer Leitfähigkeit unterschieden. Letztere sind die SK-Kanäle, wobei “S” für small und “K” für Kalium steht. SK3 heißt einer von drei bekannten Kanälen dieser Gruppe, wobei Knaus davon ausgeht, dass jeder von ihnen eine spezielle Aufgabe erfüllt.
Was passiert, wenn in einem Tier SK3-Kanäle ausgeschaltet oder in ihrer Funktion verstärkt werden? Nachdem es keinen speziellen pharmazeutischen SK3-Blocker gibt, war das Studium der Kanäle bis vor kurzem nicht möglich. Seit kurzem werden dafür gentechnisch veränderte Mäuse gezüchtet. Als federführend dabei gelten das Max-Planck-Institut in Heidelberg und das Vollum-Institut in Portland/ Oregon – beide Institute sind Kooperationspartner der Innsbrucker Pharmakologen.
Den Kollegen in Heidelberg sei es gelungen, sagt Knaus, auf DNA-Ebene den Promotor zu verändern und damit einen “genetischen Schalter” zu erzeugen. Am gleichen Versuchstier könne man durch Dosierung eines Antibiotikums (Doxycyclin) die Zahl der SK3-Kanäle (und damit die entsprechende Aktivität) verfünffachen oder zur Gänze ausschalten.
Zur überraschung der Innsbrucker stellte sich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen SK3-überaktivität und Atemstörungen heraus. Gesunde Säugetiere erhöhen bei sinkendem Sauerstoffdruck die Atemfrequenz, wobei Knaus auf das Beispiel bergsteigender Menschen verweist. Den Mäusen mit den überaktiven SK3-Kanälen ist diese Fähigkeit genommen. Ihre Atmung setzt bei Sauerstoffkonzentrationen aus, die für ihre genetisch unveränderten Geschwister noch lange kein Problem sind. Wurde der genetische “Schalter” rechtzeitig medikamentös “umgelegt”, fanden auch die transgenen Mäuse mit geringerem Sauerstoffanteil in der Luft das Auslangen.
Knaus sieht die Möglichkeit, dass mit der Entwicklung eines beim Menschen auf die Funktion der SK3-Kanäle wirkenden Medikaments der plötzlichen Kindstod therapiert werden kann, da dieses letale Krankheitsbild eindeutig mit einem Aussetzen der Atemtätigkeit während des Schlafes zusammenhängt. Als wahrscheinlich gilt, dass die SK3-Kanäle beim Menschen die gleiche Funktion wie bei den Versuchstieren haben.
Knaus sieht die Möglichkeit, dass mit der Entwicklung eines beim Menschen auf die Funktion der SK3-Kanäle wirkenden Medikaments der plötzlichen Kindstod therapiert werden kann, da dieses letale Krankheitsbild eindeutig mit einem Aussetzen der Atemtätigkeit während des Schlafes zusammenhängt. Als wahrscheinlich gilt, dass die SK3-Kanäle beim Menschen die gleiche Funktion wie bei den Versuchstieren haben. Kostenfrage Dieses Forschungsergebnis stehe nun allen Pharmafirmen zur Verfügung, erklärt Knaus. Für ein universitäres Institut sei der Aufwand, ein Medikament zu entwickeln, zu groß. Es müsse mit einer Entwicklungsdauer von zumindest sechs bis acht Jahren und Aufwendungen zwischen drei und sieben Milliarden Schilling (218 bis 509 Mio. ) gerechnet werden. Bis dahin kann die Wahrscheinlichkeit des Plötzlichen Kindstods nur durch einfache Maßnahmen herabgesetzt werden – Nichtrauchen der Mutter während der Schwangerschaft, Stillen, Behandlung von Atemwegsinfekten, und den Säugling nicht am Bauch liegend schlafen legen.
Nachgewiesen wurde im Test mit den transgenen Mäusen noch eine zweite wesentliche Funktion der SK3-Kanäle: die Regulierung der Wehentätigkeit. Im Zustand der erhöhten SK3-Aktivität kommt es während der Austreibphase der Föten zu einer akuten Wehenschwäche, die für Muttertier und Nachkommenschaft meist tödlich ist. Wurden die Kanäle rechtzeitig vor der Geburt medikamentös abgeschaltet, konnte diese Fehlfunktion beseitigt werden.
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Linktipps
– SHG Tod eines Babys – www.gutehoffnung-jaehesende.com
– Kinder-Corner
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