Studie belegt: Social Media wirken wie Suchtmittel

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Studie: Social Media wirken wie Suchtmittel

Über den Stellenwert von Social Media hinsichtlich Identitätsentwicklung und Selbstdarstellung wird aktuell viel diskutiert. Vor allem das Problem “Hass im Netz” bewegt, denn die scheinbar immer größer werdende Masse völlig enthemmter Poster beeinflusst das Klima in unserer Gesellschaft nachhaltig.


Und es hat den Anschein, als könnten viele Nutzer den Konsum von Facebook, Instagram, Twitter & Co. nicht mehr steuern, sobald sie ins Universum der sogenannten Sozialen Medien eingetaucht sind. Genau diese Vermutung hat eine Studie österreichischer Wissenschafter nun bestätigt: Social Media wirken wie Suchtmittel, schon ein kurzfristiger Verzicht führt zu Entzugserscheinungen.

Social Media wirken wie Suchtmittel – Artikelübersicht:

Viele können sich ein Leben ohne Social Media nicht mehr vorstellen, chatten, posten, liken sind längst Teil ihres Alltags geworden. Tatsächlich ist das Angebot riesig und bedient beinahe jedes Bedürfnis: den Drang nach Wissen bedient das Kollektivprojekt Wikipedia, “persönliche” News, Meldungen mit vermeintlich besonders hoher Authentizität, liefern Nachrichten-Aggregatoren wie Twitter & Co. Content Communities wie YouTube, Vimeo oder auch Instagram liefern beides, Unterhaltung und die Plattform für Selbstdarstellung.

Aber besonders hohes Suchtpotenzial dürften virtuelle “Stammtische” wie Facebook, Kontaktbörsen (Tinder) und Plattformen zur puren Selbstdarstellung, wie der Instant-Messaging-Dienst Snapchat aufweisen. Die Motivation wann und wie Menschen Social Media nutzen, wurde daher in zahlreichen Publikationen bereits umfassend untersucht.

Wenig weiß man jedoch über die Reaktion der betroffenen Nutzer auf eine Abstinenzphase. Diesen Umstand haben Wissenschafter der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems aufgegriffen und haben prompt suchtartiges Verhalten bei Verzicht auf Social Media-Nutzung identifiziert. Das Ergebnis ihrer international veröffentlichten Studie liegt nun vor.¹

Social-Media-Sucht: Studie über die Wirkung Sozialer Medien

Ausgangspunkt der Studienautoren waren zwei Fragen: Wie sehr fehlt Social Media Nutzern die Anwendung, und was sind die Konsequenzen eines solchen “Entzugs”? Diesen Fragen sind zwei Wissenschafter der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems (KL Krems) und der Universität Wien, Österreich, nachgegangen – und fanden aus der Suchtforschung bekannte Antworten. Diese wurden nun im Journal “Cyberpsychology, Behavior and Social Networking” veröffentlicht.

Insgesamt nahmen an der Studie 152 Personen im Alter von 18 – 80 Jahren teil – davon 70% Frauen. Die Tatsache, dass über 1.000 Personen die Einladung zur Teilnahme wahrgenommen haben, davon aber nur ca. 30 Prozent überhaupt Interesse zeigten und schlussendlich nur knapp 15 Prozent sich zur Social Media-Abstinenz bereit erklärten, kommentiert Prof. Stieger so: “Es liegt die Vermutung nahe, dass sich eher solche Personen zur Teilnahme meldeten, denen der Verzicht auf Social Media leichter fällt – und deren Entzugserscheinungen somit vielleicht auch milder ausfielen als bei anderen.

Die Auswirkungen könnten für andere Personen also noch ausgeprägter sein” erklärt einer der Studienautoren, Prof. Stefan Stieger vom Department Psychologie und Psychodynamik der KL Krems.

Abhängigkeit von Sozialen Medien?

“Tatsächlich führte schon ein siebentägiger Verzicht auf Social Media bei den Probandinnen und Probanden zu leichten Entzugserscheinungen, wie wir sie vom Suchtmittelgebrauch kennen” so Prof. Stefan Stieger. “Insbesondere stieg das Verlangen – die Gier – nach der Nutzung von Social Media in der Abstinenzphase stark an. Ein Effekt, der sogar dann noch messbar war, als Social Media bereits wieder genutzt werden durften.”

Auch Langeweile und das Empfinden eines signifikant gesteigerten sozialen Drucks, die Nutzung von Social Media wiederaufzunehmen, traten ein. Letzteres entstand aus dem Gefühl heraus, dass Freundinnen und Freunde den Austausch auf Social Media von einem erwarten würden bzw. dass man etwas verpassen könnte. “Das Spüren eines sozialen Drucks”, erläutert Prof. Stieger, “ist umso erstaunlicher, als es den Probandinnen und Probanden erlaubt war, andere Kommunikationskanäle wie SMS und Email zu nutzen.”

Am überraschendsten war dann auch, dass es 90 von 152 Teilnehmerinnen und Teilnehmern nicht einmal schafften, die sieben Tage Social Media-Abstinenz durchzuhalten ohne “rückfällig” zu werden.

Vor dieser Studie teilten nicht alle Fachleute die vorherrschende Einschätzun über das Suchtpotenzial Sozialer Medien. Der Kinder- und Jugendpsychiater am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und Leiter des dortigen Zentrums für psychosoziale Medizin, Prof. Michael Schulte-Markwort relativiert jedenfalls die Bedeutung bei Kindern und Jugendlichen wenn er in einem Gastbeitrag im SPIEGEL ONLINE meint: “Abhängigkeit von sozialen Medien gibt es nicht”.²

Er verweist dabei recht allgemein auf seine täglichen, klinischen Erfahrungen. Konkret führt er allerdings nur den – nicht ganz passenden – Umstand an, dass es selbst für die im amerikanischen Klassifikationssystem DSM-V erstmals verankerte Diagnose des Internet Gamings keine ausreichende Häufigkeit gibt, sodass die Autoren vorschlagen haben, die Diagnose wieder zu streichen.

Klar ist, dass nicht jeder exzessive Konsum gleich eine Erkrankung ist, es gibt allerdings ein eindeutiges Indiz für Suchtverhalten: Kontrollverlust.

Ein Verhalten wird also dann zum Problem, wenn es als Problem empfunden wird – sei es vom Betroffenen selbst, von der Familie, dem Partner oder wenn es zu Problemen in Beruf und bei der Bewältigung des Alltags kommt. Die entscheidende Fragestellung ist dabei immer: Kontrolliere ich mein Verhalten oder kontrolliert es mich?

Psychologische Interventionsstudie: selbst kurzfistiger Verzicht von Sozialen Medien führt zu Entzugserscheinungen

Die neue Studie legt die Vermutung nahe, dass diese Frage bei vielen offenbar immer häufiger mit Ja zu beantworten ist.

Das Wissenschafter-Duo machten eine, den intuitiven Vermutungen widersprechende Beobachtung bei den Auswirkungen auf die Stimmung der Probanden. Zwar ergab die spätere Auswertung, dass diese Beobachtungen keine statistische Signifikanz aufwiesen, dennoch fiel auf, dass bei einigen Probanden nicht nur das Empfinden positiver Stimmungen – erwartungsgemäß – vermindert wurde, sondern auch das Erleben negativer sich reduzierte. Das war unerwartet, überraschend und entspricht nicht den klassischen Entzugserscheinungen, die ein stärkeres (!) Empfinden negativer Stimmung erwarten lassen würden.

Ebenso überraschend war die hohe Anzahl an Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern, die “schwach” wurden und in der siebentägigen Abstinenzphase dennoch Social Media nutzen. Zwar passierte dies selten (im Durchschnitt weniger als zweimal) und kurz (durchschnittlich 3 Minuten), insgesamt waren es aber doch fast 60 Prozent der Probandinnen und Probanden, die “schummelten”. Für Prof. Stieger ein Hinweis darauf, wie sehr Social Media in den Alltag integriert sind und wie schwer es dadurch selbst zur Abstinenz bereiten Menschen fällt, dieses Vorhaben konsequent umzusetzen.

Die heute international publizierte Studie nutzt erneut ein, von Prof. Stieger für Anwendungen in der Psychologie stetig optimiertes Erhebungsverfahren. Dieses basiert auf Nutzung einer – für das jeweilige Projekt individualisierten – Smartphone App, die eine Datenerhebung in der gewohnten Lebensumwelt der Probanden erlaubt.

Artefakte durch Laborumgebungen o.ä. sind somit ausgeschlossen. Die KL Krems bestätigt damit erneut ihre innovativen Ansätze zum Erkenntnisgewinn in wichtigen Brückendisziplinen wie u.a. der Medizintechnik, der Psychologie und Psychodynamik.

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Quellen:

¹ A week without using social media: Results from an ecological momentary intervention study using smartphones. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, 21, 618-624. (Stieger, S., & Lewetz, D.; 2018) doi: 10.1089
² “Abhängigkeit von sozialen Medien gibt es nicht” (Gastbeitrag von Michael Schulte-Markwort in SPIEGEL ONLINE)

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