Starker Mann, schwache Frau? Unterscheiden sich die Krankheitsbilder?
Haben Frauen eine andere Psyche als Männer? In westlichen Industriegesellschaften stellen Studien übereinstimmend fest, dass Frauen häufiger an psychischen Krankheiten leiden als Männer, mehr therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen und mehr Psychopharmaka einnehmen. Auch die Art der psychischen Erkrankungen ist geschlechtsspezifisch: so sind neurotische Störungen, besonders Depressionen und Phobien, Frauendomäne, ebenso psychosomatische Störungen. Männertypisch sind hingegen Persönlichkeitsstörungen, Alkoholismus und Drogenmissbrauch.
Soziale Rollenbilder als mögliche Ursache für unterschiedliche psychische Belastungen
In Persönlichkeitsfragebögen treten ebenfalls Unterschiede zutage: Frauen beschreiben sich durchschnittlich als ängstlicher, depressiver und unsicherer als Männer, und ihre Werte sind bei Gehemmtheit, Erregbarkeit und psychosomatischen Beschwerden höher. Monika Sieverding zieht im Buch “Bin ich denn verrückt?” (Hg. Ursula Nuber, Kreuz Verlag) den Schluß, dass diese Fakten auf dem Hintergrund der sich verändernden gesellschaftlichen Rolle der Frau analysiert werden müssen.
Frauen sind nämlich besonderen Belastungen ausgesetzt, nachdem sie bei größerem Engagement in der Berufswelt keine adäquate Unterstützung durch den Partner im häuslichen Bereich erfahren. Die männliche Berufsrolle bleibt unantastbar, auch wenn die Frau in der Realität den gleichen Anteil an Erwerbsarbeit leistet. Je weniger sich aber Männer an Haushalt und Kinderbetreuung beteiligen, desto gestreßter wird die Frau.
Dazu kommt, so Sieverding, dass Frauen üblicherweise mehr an sozialer Unterstützung geben, als sie selbst bekommen. Für psychische Gesundheit ist jedoch wichtig, selbst Rückhalt zu erfahren. Interessanterweise leiden Frauen erst nach der Pubertät, also nachdem sie vermehrt mit der weiblichen Rollenerwartung konfrontiert werden, mehr unter psychischen Problemen als Männer. Für Männer bedeuten Vorstellungen von Familiengründung keine Konflikte mit der beruflichen Entwicklung, für Frauen aber sehr wohl. Aus den vielfältigen Belastungen für erwerbstätige Frauen mit Familie zu schließen, dass sie die schlechteste psychische Gesundheit aufweisen würden, trifft aber nicht zu: tatsächlich sind die “Nur-Hausfrauen” die unglücklichsten mit dem geringsten Selbstbewußtsein. Besser schätzen sich verheiratete und alleinstehende berufstätige Frauen ein.
Die Merkmale psychischer Gesundheit einst und heute
Früher wurden Merkmale psychischer Gesundheit so definiert, dass weiblich ist, was nicht männlich ist. Eigenschaften, die Männern zugeschrieben wurden, galten bei Frauen als “nicht normal”. Inzwischen setzt sich die Ansicht durch, dass es keine spezifisch männlichen oder weiblichen psychischen Eigenschaften gibt, sondern solche, die bis zu einem gewissen Grad bei beiden Geschlechtern als wünschenswert angesehen werden. Diese wiederum können auch mit dem übereinstimmen, was als “typisch” für ein Geschlecht angesehen wird.
Die Eigenschaften werden in “instrumentelle” (aufgabenbezogene, eher traditionell “männlich”) und “expressive” sozial positive, eher traditionell “weiblich”) kategorisiert. Zwar beschreiben sich Männer durchschnittlich mehr “instrumentell” und Frauen mehr “expressiv”, dennoch gibt es einen großen Überlappungsbereich und “instrumentellere” Frauen wie auch “expressivere” Männer.
Wer sich selbst am gesündesten einschätzt, erzielt hohe Werte bei “typisch männlichen” Eigenschaften und hat geringe Werte im expressiven Bereich. Solche Frauen hatten den geringsten Wunsch nach Veränderung, im Gegensatz zu den ausgeprägt femininen Frauen, die gerne mehr instrumentell sein würden. Wer stark instrumentell ist, die/der hat zudem die Fähigkeit, mit Problemen besser umzugehen und kontrollierbare negative Lebenserfahrungen zu bewältigen.
Da alle bisherigen Definitionen von psychischer Gesundheit als Ideal einen Menschen darstellen, der/die in der Lage ist, seinen/ihren Weg allein zu gehen, sind jedoch wesentliche Lebensfaktoren vernachlässigt worden. Die Fähigkeiten, mit anderen zusammenzuleben, und weitere soziale Aspekte werden bei Erhebungen meist nur am Rande erfaßt. Das Eingehen auf andere, die Sorge für ihr Wohlbefinden, also expressive Eigenschaften, haben bei den bisherigen Meßverfahren keine Priorität bekommen.
Quelle: www.ceiberweiber.at
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