Multiple Sklerose | Krankheitslexikon

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Schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen leben weltweit mit Multipler Sklerose (Österreich: 13.500), einer entzündlichen Erkrankung des Zentralen Nervensystems, deren Ursache bis heute unbekannt ist.


Vermutlich handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der das körpereigene Abwehrsystem gegen sich selbst agiert. Trotz medizinischer Erfolge in der Therapie gilt die Multiple Sklerose (MS) derzeit noch als unheilbar.

DEFINITION:

Die MS ist die häufigste Nervenkrankheit im jüngeren Erwachsenenalter und tritt meist um das 30. Lebensjahr herum auf.

Es handelt sich um eine Entzündung weiter Teile des Gehirns und des Rückenmarks, die zu sehr vielfältigen Symptomen führt. Die Erkrankung verläuft chronisch, wobei sich Krankheitsschübe mit zum Teil jahrelangen beschwerdefreien Phasen abwechseln.

Im Frühstadium ist der entzündungsprozess herdförmig organisiert, hier treten aktivierte Lymphozyten durch die Blut-Hirn-Schranke in das Zentralnervensystem (ZNS) ein und bilden rund um Gefäße Entzündungsherde.

Auf Basis einer globalen inflammatorischen Infiltration des ZNS, können sich immer wider neue herde bilden.

URSACHEN:

Bis heute ist die genaue Ursache dieser Erkrankung unbekannt. Die Wissenschaft vermutet, dass mehrere Faktoren zur Krankheitsentstehung beitragen. Neben einer offensichtlichen genetischen Veranlagung, stehen Fettleibigkeit in Kinder- und Jugendjahren, bestimmte Darmbakterien und ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus (etwa durch Schichtarbeit) als Risikofaktoren im Verdacht.

Durch Entzündungsreaktionen in Hirn und Rückenmark kommt es zum Zerfall der die Nerven isolierenden Hüllschicht (Myelin), wodurch diese Nervenfasern keine Impulse mehr weiterleiten können.

Der jeweilige Ort der Entzündung ist entscheidend für die Symptome, die aus diesem Grunde bei der MS sehr unterschiedlich ausfallen. Entgegen landläufiger Vorurteile handelt es sich um keine ansteckende und auch nicht um eine vererbbare Erkrankung.

Seit einiger Zeit wird in Fachkreisen gemutmaßt, dass ein konkreter MS-Auslöser eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) sein könnte. Das Virus, das zur Gruppe der Herpesviren zählt, ist extrem weit verbreitet – in unseren Breiten tragen etwa 90 Prozent der über 30-jährigen dieses Virus in sich. Bei dreissig bis sechzig Prozent der Infizierten dieser Altersgruppe führt sie zum Ausbruch des sogenannten Pfeifferschen Drüsenfiebers.

Doch statistische Abweichungen bei der Verteilung von MS Patienetn und mit dem EBS Infizierten ließen auch auf einen ein Zusammenhang schließen. Dieser Verdacht wird durch eine große US-Studie der Harvard T.H. Chan School of Public Health bestätigt.

Das Team rund um Alberto Ascherio, Professor für Epidemiologie und Ernährung analysierte nicht weniger als zehn Millionen vom Militär entnommene Serumproben und bestimmte den EBV-Status der Soldaten zum Zeitpunkt der ersten Probe sowie die Beziehung zwischen EBV-Infektion und MS-Ausbruch während der Zeit des aktiven Dienstes.

Das Ergebnis war verblüffend: in dieser Kohorte stieg das MS-Risiko nach einer Infektion mit EBV um das 32-fache, blieb jedoch nach einer Infektion mit anderen Viren unverändert. Die EBV-Seropositivität war zudem zum zeitpunkt der MS-Entwicklung augenscheinlich: nur eineinziger der diagnoostiuzierten 801 MS-Fälle war zum Zeitpunkt des Ausbruchs EBV-seronegativ. Die Ergebnisse können durch keinen bekannten Risikofaktor für MS erklärt werden und deuten darauf hin, dass eine Korrelation von EBV-Infektion und MS gibt, was eine hohe Wahrscheinlichkeit aufweist, dass eine EBV-Infektion die Hauptursache für MS ist.

Der Mechanismus, der hinter der Ausbildung von MS im Zusammenhang mit einer EBV-Infektion steckt, ist durch diese Untersuchungsergebnisse freilich noch nicht geklärt. Daher bleibt auch unaufgeklärt, weshalb bloß ein sehr kleiner Teil der EBV-Infizierten auch tatsächlich MS entwickeln.

SYMPTOME & DIAGNOSE:

Grundsätzlich kann die MS – jedenfalls bei typischen Symptomen und einem eindeutigen Muster im MRT der Neurochase – bereits beim ersten Auftreten diagnostiziert werden.

Eine Multiple Sklerose beginnt gewöhnlich schleichend. Bei den meisten Betroffenen ist der frühe Krankheitsverlauf durch eine Entzündung gekennzeichnet, die zu Schüben oder Rückfällen führt, also zu Episoden einer neurologischen Funktionsstörung, die sich normalerweise teilweise oder vollständig zurückbilden.

MS-Läsionen entwickeln sich vor allem in drei Regionen des ZNS (sogenannte Prädilektionsstellen) und verursachen dort gemäß ihrer Lokalisation entsprechende Beschwerden. Diese Regionen umfassen den Sehnerv, den Hirnstamm, sowie das Kleinhirn und das Rückenmark.

Krankheitszeichen können sich – je nach betroffener Region – als Sehstörungen (Doppelbilder), Muskelzittern oder Taubheitsgefühl in den Beinen äußern. Typisch sind auch Gefühlsschwankungen oder Sprachveränderungen, wobei die Sprache insgesamt verlangsamt oder abgehackt wirkt.

Lähmungen (wenn sich MS-Läsionen im Rückenmark bilden), Schwindel oder Blasenstörungen sind nur ein weiterer Ausschnitt des sehr verwirrenden Symptom-Spektrums.

Neben ddiesen MS-Symptomen spielen die sogenannten “unsichtbaren Symptome der MS” für die Lebensqualität der Betroffenen eine entschheidende Rolle. Dazu zählen etwa die “Fatigue” (abnorme Tagesmüdigkeit), sowie kognitive Störungen (z.B. die Informationsverarbeitungsgeschwindiglkeit oder das Arbeitsgedächtnis) und affektive Probleme.

Diese Probleme wirken sich auf die berufliche Entwicklung aus: nur etwas mehr als die Hälfte der MS-Patienten zwischen 15 und 64 Jahren sind berufstätig – der Großteil davon in Teilzeit.

Die Magnetresonanztomographie (MRT) als bildgebende Methode war ein großer Fortschritt in der Diagnostik von MS, weil damit endlich passende Veränderungen im Gehirn MS-Betroffener nachgewiesen werden konnten. Doch auch die MRT kann eine MS nicht “sicher” diagnostizieren, denn die oftmals als „typisch“ bekannten MS-Veränderungen sind mitnichten spezifisch für die MS. Es gibt eine Reihe anderer Erkrankungen, die zu Beginn exakt die gleichen neurologischen Befunde und gleichartige MRT-Herde verursachen können.

Die häufigsten Gründe für eine Fehldiagnose sind dann auch unspezifische Veränderungen im MRT, aber auch Migräne und psychiatrische Erkrankungen.

Multiple Sklerose ist nicht ansteckend, nicht zwangsläufig tödlich, kein Muskelschwund und keine psychische Erkrankung. Häufig kann die richtige Diagnose daher erst nach längerem Bestehen der Erkrankung gestellt werden.

Die häufig verbreiteten Vorurteile, dass MS in jedem Fall zu einem Leben im Rollstuhl führt, sind aus heutiger Sicht nicht richtig.

Allerdings sind auch die sogenannten “unsichtbaren MS-Symptome” zu beachten. Dabei zählt vor allem die “Fatigue” (abnorme Tagesmüdigkeit) zu einem der belastendsten Faktoren im Alltag berichten MS-Patienten. Sie führt zu einer verminderten Belastbarkeit im Alltag und wird von den Betroffenen als hochgradig einschränkend empfunden.

EPIDEMIOLOGIE

Die chronisch entzündliche Erkrankung des Nervensystems ist die häufigste Ursache für irreversible neurologische Behinderung im jungen Erwachsenenalter.

Üblicherweise verläuft die MS zu Beginn schubförmig (ca. 85% der Betroffenen). Dabei wechseln sich Phasen neurologischer Beeinträchtigung mit stabilen Phasen ab.

Der erste Schub tritt üblicherweise zwischen 20 und 40 Jahren auf, nur bei 3-5% aller Betroffenen manifestiert sich Multiple Sklerose bereits vor dem 18. Lebensjahr. Bei etwa 10 Prozent tritt die Erkrankung nach dem 60. Geburtstag auf.

In Österreich leben etwa 13.500 Menschen mit der Diagnose Multiple Sklerose, weltweit sind es cirka 2 bis 2,5 Millionen MS-Betroffene (Stand: 2021)

AUSWIRKUNGEN:

Der Verlauf dieser Erkrankung läßt sich im Einzelfall nicht vorhersagen. Manche Patienten bleiben jahrelang arbeitsfähig, andere werden rasch von Lähmungen betroffen und an den Rollstuhl gefesselt. Insgesamt muss jedoch nur ein kleiner Teil der Erkrankten (weniger als 5%) invalidisiert werden.

THERAPIE:

In den letzten Jahren wurden Fortschritte in der Behandlung der Multiplen Sklerose erzielt. Die heutigen modernen Medikamente zur Dauerbehandlung der Multiplen Sklerose (MS) können bei vielen Patienten einen Teil der Krankheitsschübe verhindern und auch das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen, leider nicht bei allen.

Doch durch den Einsatz moderner Immuntherapien (und frühere Diagnosestellung) wandelt sich das Bild der MS doch deutlich. MS-Betroffene bleiben länger ohne schwere Behinderung und erfahren dadurch weniger Einschränkungen im Privat- wie auch Berufsleben.

Da die Multiple Sklerose bis heute nicht ursächlich heilbar ist, dienen folgende drei wissenschaftliche Säulen als Basis zur Behandlung der entzündlichen degenerativen Erkrankung des Zentralnervensystems:

  • die Behandlung des akuten Schubs (Kortison-Stoß-Therapie, Plasmapherese)
  • die langfristige verlaufsmodifizierende Therapie (derzeit sind zahlreiche Wirkstoffe zur Immunmodulation und Immunsuppression zugelassen)
  • die symptomatische Therapie (medikamentöse und nicht-medikamentöse Maßnahmen), ergänzt um Rehabilitationsverfahren

Immuntherapien sind Behandlungsformen, bei denen das Immunsystem beeinflusst wird. Das Ziel ist es, Immunreaktionen teilweise zu unterdrücken um weitere Schübe und Entzündungsaktivität im Gehirn und Rückenmark, die sogenannten „Herde“, möglichst zu verhindern und somit die Krankheitsaktivität zu kontrollieren.

Moderne Medikamente der MS-Therapie wirken, indem sie außer Kontrolle geratene Komponenten des Immunsystems (u. a. T-Lymphozyten, B-Lymphozyten und ihre Antikörper sowie Makrophagen, sogenannte „Fresszellen“) in Schach halten: Auf der einen Seite unterdrücken sie die Anzahl oder Aktivität der überaktiven Immunzellen, auf der anderen Seite versperren sie Immunzellen den Weg in das zentrale Nervensystem – sie „dichten“ also quasi die Blut-Hirn-Schranke ab.

Moderne Immuntherapeutika sind wirksame Behandlungsmöglichkeiten zur Eindämmung von Entzündungsreaktionen im Zentralen Nervensystem. Doch es gibt ein Risiko schwerer Nebenwirkungen, wie schweren Infektionen.

Es sind mehrere Fällen im Zusammenhang mit Immuntherapeutika wie Alemtuzumab, Natalizumab oder auch Daclizumab dokumentiert. Natalizumab etwa ist mit einem erhöhten PML-Risiko (progressive multifokale Leukenzephalopathie) verbunden.

Diese Nebenwirkungen lassen sich freilich durch ein sorgfältiges Sicherheitsmonitoring vermeiden. Deshalb sind sowohl klinische als auch labordiagnostische Aufklärungs- und Monitorierungsmaßnahmen extrem wichtig um das erhöhte Risiko für Infektionen zu senken und Komplikationen zu vermeiden.

Darüber hinaus wird neben Cortison, das vor allem im akuten Entzündungsschub zum Einsatz kommt, wird auch ein ursprünglich für die Krebsbekämpfung entwickelter körpereigener Eiweißstoff, das sogenannte Beta-Interferon, eingesetzt.

Beta-Interferon ist in der Lage, die Zahl der Krankheitsschübe deutlich zu reduzieren. Dadurch hat sich die Lebensqualität der MS-Patienten weiter verbessert. Begleitende Maßnahmen sind u.a. Massagen zur Lockerung der Muskelspannung, Krankengymnastik und Psychotherapie.

Sollte tatsächlich – wie weiter oben angeführt – das Epstein-Barr-Virus eine Voraussetzung für MS sein, dann ließe sich in Zukunft etwa durch eine vorbeugende Impfung gegen das EBV auch multiple Sklerose vermeiden. Das ist auch die Hauptschlussfolgerung von Prof. Ascherio und seinem Team an der Havard University. Doch die diesbezügliche Studien sind in dieser Hinsicht erst der Anfang für weitere Forschungen in diesem Bereich.

PRÄVENTION:

Eine Prophylaxe gegen MS gibt es nicht. Erkrankte sollten allerdings außergewöhnliche körperliche oder psychische Belastungen vermeiden und sich vor Infektionen schützen, weil dadurch Krankheitsschübe ausgelöst werden können.

Verständlicherweise werden auch eine Reihe alternativer Therapiemethoden angeboten, die häufig von den Patienten in der Hoffnung auf Heilung in Anspruch genommen werden. Es ist jedoch ratsam, sich zunächst über Sinn und Wirksamkeit dieser Verfahren bei einem Arzt des Vertrauens zu informieren.

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Quellen:

¹ Long-term evolution of multiple sclerosis disability in the treatment era (Cree B. et al. in Ann Neurol 2016 Oct;80(4):499-510 Epub 2016 Aug 13) – PMID: 27464262
² Multiple Sklerose: Frühwarnsystem für PML entdeckt
¹ Epstein-Barr virus may be leading cause of multiple sclerosis (Science • 13 Jan 2022 • Vol 375, Issue 6578 • pp. 264-265 • DOI: 10.1126/science.abm7930)

[Verfasst 02/2010, Update: 02/2021]

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