Salzburgerin von Narkoseversagen traumatisiert

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Narkoseversagen, Trauma

Veronika W.* hatte eine schlaflose Nacht. Zufällig war sie auf eine Studie gestoßen, die zwei deutsche Anästhesistinnen kürzlich veröffentlicht hatten: Dort fand sie erstmals klar beschrieben, was sie vor 33 Jahren selbst erlebt hatte, damals jedoch – vom behandelnden Arzt im Stich gelassen – nicht richtig einordnen konnte. Erst heute ist sie in der Lage, unbefangen darüber zu sprechen.


Narkoseversagen – Artikelübersicht:

Das Gefühl der totalen Auslieferung

Im Jahre 1978 unterzog sich die damals in Wien lebende Salzburgerin in einer Wiener Privatklinik einer Operation, die ein bekannter Gynäkologe ausführte. Plötzlich erlebte die Patientin ungeheures: „Während des Durchtrennens der Bauchdecke erwachte ich unter entsetzlichen Schmerzen aus der Narkose. Als ich mich bemerkbar machen wollte, erkannte ich, dass ich völlig gelähmt, wie zu Stein geworden war.“

Die Situation, so Veronika W., sei nicht nur körperlich extrem schmerzhaft, sie sei vor allem unfassbar schockierend gewesen: „Ich dachte: ist das eine Art Scheintod? Würde man mich lebendig begraben? Ich konnte weder die Augen öffnen, noch auch nur den kleinen Finger bewegen oder gar einen Laut von mir geben. Zugleich konnte ich jedoch alles hören, was im Operationssaal vor sich ging.“

Die Schmerzen der Verleugnung

Als die Patientin nach vielen Stunden langsam zu sich kam, saß der Operateur an ihrem Bett. Veronika W. brach in Tränen aus und fand zunächst kaum Worte, das Erlebte zu beschreiben. „Dr. K. versuchte mich überaus freundlich zu beruhigen, bagatellisierte jedoch sofort, was ich zu formulieren versuchte und zog meine Wahrnehmungen gütig lächelnd in Zweifel.“

Als Veronika W. insistierte und wortwörtlich wiederholen konnte, was der Arzt während der Operation selbst gesagt hatte, habe dieser die Wahrnehmung der Patientin auf ein seltenes neurologisches Phänomen zurückgeführt, „das mit meinem Gehirn, aber sicher nichts mit der Wirklichkeit zu tun habe“, so die Patientin.

Der Gynäkologe habe ihr geraten, mit niemandem darüber zu sprechen, weil sie unter dem Verdacht einer schizophrenen Störung womöglich in der Psychiatrie landen könnte. W. war völlig verstört, die Drohung des Arztes veranlasste sie jedoch dazu, außer mit einer einzigen vertrauten Person mit niemandem darüber zu sprechen.

Sich mitzuteilen befreit

Jahre später erst fand Veronika W. erstmals den Mut, einer befreundeten Ärztin von dem Vorfall zu berichten. Von ihr erfuhr sie von der Wirkungsweise von Mehrphasen-Anästhetika, die einerseits zu Bewusstlosigkeit und Schmerzfreiheit, andererseits zu völliger Muskelstarre führen. Idealerweise sollten beide Komponenten gleich lang wirken.

Die Freundin konnte allerdings nicht verstehen, dass Veronika W. weder auf ein Gespräch mit dem zuständigen Anästhesisten bestanden, noch einen anderen Arzt zu Rate gezogen hatte. Sie war erschüttert, dass sich die Patientin in ihrer Notlage so sehr von der eigenen Wahrnehmung hatte weglocken lassen.

Eine posttraumatische Belastungsstörung

Dass ein solches Erlebnis bleibende Konsequenzen haben kann, bekam Veronika W. erst kürzlich – also Jahrzehnte später – nach einem Unfall zu spüren: Beide Bänder am Daumengrundgelenk waren gerissen und mussten genäht werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie das Narkoseversagen längst verdrängt.

Als die Anästhesistin zur Narkose ansetzen wollte, bekam Veronika plötzlich, trotz einer vorhergegangenen Beruhigungsspritze, einen heftigen Schüttelfrost, ihre Zähne klapperten, dass sie kaum noch sprechen konnte – Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Ärztin sah sich unter diesen Umständen gezwungen, die Intervention abzubrechen.

Psychotherapie als geeignete Behandlung

Bis heute sieht sich Veronika W. außer Stande, sich einer Vollnarkose zu unterziehen. Für Elmar Hofer, Primarius am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Salzburg, ein Problem, das psychotherapeutischer Behandlung bedarf. „Die posttraumatische Störung gehört unbedingt in professionelle Hände. Ein betroffener Patient braucht Hilfe und muss auf jeden Fall betreut werden“, so der Anästhesist.

Damit der Patient Chancen auf die Bewältigung des Erlebten habe, sei es Grundvoraussetzung, dass er ernst genommen werde. „Es ist ja nicht anzuzweifeln, wenn der Betroffene in der Lage ist, detaillierte Angaben zu machen. Wenn jemand das während der Wachphase Gehörte wiederholen kann, muss ich ihm doch Glauben schenken.“ Veronika W. hingegen stieß auf blankes Kopfschütteln.

Narkoseversagen nach wie vor möglich

Auch wenn sich die Zusammensetzung der Anästhetika seit dem Vorfall geändert habe, sei ein Narkoseversagen, so Hofer, nach wie vor nicht auszuschließen: „Es gibt in der Literatur die Bestätigung, dass auch heute ein solches Erwachen während der OP aus verschiedenen Ursachen vorkommen kann, es passiert allerdings sehr selten.“

Unsicherheitsfaktoren wie etwa die schwer vorhersehbare individuelle Reaktion von Patienten auf Narkosemittel bieten zusätzliche Schwierigkeiten. Die Folge: Bei 0,1 bis 0,2 % der Patienten wird von Wacherlebnissen ohne Schmerzerinnerung berichtet, bei immerhin noch 0,03 % sind solche Erlebnisse gar mit Schmerzerinnerung verbunden. Trotz modernster Technik zur Überwachung der Narkosetiefe hat der Anästhesist niemals absolute Gewissheit, wie tief ein Patient schläft.

Aufrütteln der Öffentlichkeit als Ziel

Veronika W., die vor einem weiteren Eingriff mit Vollnarkose steht, kann ihrem Erkenntnisgewinn immerhin Positives abgewinnen: „Jedenfalls weiß ich jetzt, dass ich nicht ‚verrückt’ war, sondern dass mir etwas Furchtbares zugestoßen ist.“ Mit der Veröffentlichung ihrer Geschichte hofft sie, die Öffentlichkeit auf ein weithin totgeschwiegenes Problem aufmerksam machen zu können.

Wie der jüngst bekannt gewordene Fall der deutschen Schauspielerin Eva Mattes zeigt, wagen sich immer mehr Betroffene aus der Deckung. Mattes hatte gegenüber dem ZEITMagazin von einem Narkoseversagen bei der Kaiserschnittgeburt ihres Sohnes im Jahr 1989 berichtet und im Zusammenhang damit von höllischen Schmerzen berichtet. Mattes habe sich, wie berichtet wurde, allerdings bemerkbar machen können, worauf der Anästhesist habe Gegenmaßnahmen ergreifen können.

Autoren: Waltraud Prothmann, Thomas Schellenberger

* Name von der Redaktion geändert

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