Tourette-Syndrom: wenn das Gehirn seinen eigenen Kopf hat

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Tourette-Syndrom

Wer am Tourette-Syndrom leidet, sorgt “zwangsläufig” für Aufsehen. Unfreiwilliges Grölen obszöner Wörter oder heftige Muskelzuckungen gehören zum Krankheitsbild. Das löst häufig Irritationen bei den Mitmenschen aus, gesellschaftliche Isolation ist die Folge. Doch was steckt hinter dieser Krankheit, an der etwa 3.500 Menschen in Österreich leiden?


Wie äußert sich das Tourette Syndrom?

Der französische Arzt Georges Gilles de la Tourette beschrieb die Symptome der Tourette-Krankheit erstmals 1885. Gekennzeichnet ist die neurologisch-psychatrische Erkrankung, an der drei- bis viermal so viele Männer wie Frauen leiden, durch die Kombination motorischer und vokaler Tics.

Diese “Auszucker” werden in motorische und vokale unterteilt. Zu den motorischen Tics gehören zum Beispiel unkontrollierbares Augenblinzeln, Muskelzucken, Nasenrümpfen, Grimassen schneiden, Nachahmen obszöner Gesten (Kopropraxie) Zupfen am Bart oder auch selbstverletzendes Verhalten.

Zu den “harmlosen” vokalen Tics gehören Räuspern, Husten, Pfeifen, Schnüffeln oder Grunzen. Es bestehen aber auch komplexe vokale Tics, welche von den Mitmenschen oft als provozierend und beleidigend erlebt werden: Dazu gehören das plötzliche Ausrufen von obszönen oder aggressiven Wörtern (Koprolalie) und das Wiederholen von Wörtern (Echolalie).

Die Symptome treten im Kindesalter erstmals auf, verstärken sich in der Pubertät und lassen bei einigen im Erwachsenenalter nach. Die Mehrheit muss allerdings lebenslang mit der Erkrankung zurecht kommen.

Erkannt wird das Syndrom in vielen Fällen sehr spät, die Patienten werden oft falsch diagnostiziert, erhalten eine falsche medikamentöse oder psychotherapeutische Behandlung, bis sie die richtige Diagnose erhalten. Die Tics treten den ganzen Tag über auf, es kommt zu einem serienmäßigen Auftreten, und können von den Erkrankten zumindest teilweise unterdrückt werden.

Wenn sie sich dann allerdings in einem geschützten Raum befinden, kommt es zu einer “Entladung”. Die Tics sind nicht, wie von einigen Menschen angenommen, schlechte Angewohnheiten. Zu den Ursachen gehört ein gestörter Stoffwechselvorgang im Gehirn:

Die Neurotransmitter Dopamin und Serotonin, welche für die Informationsübertragung sorgen, sind bei Tourette-Kranken teilweise erhöht. Aber auch genetische Weitervererbung wird diskutiert.

Verbreitung

Ist ein Elternteil Tourette-Patient, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sein Kind ebenfalls erkrankt, bei circa 10 Prozent. Sehr selten lassen sich nach einer Streptokokken-Infektion Antikörper gegen Basalganglien (Nervenzellen) nachweisen, inwiefern diese verantwortlich für die Tics sind, ist allerdings noch unklar, weswegen von einer Therapie gegen diese Mikroben abgeraten wird.

Eine Studie belegt, dass ungefähr 89% der Betroffenen neben dem Tourette-Syndrom unter zusätzlichen Krankheiten (sogenannte Komorbiditäten), wie Depressionen, ADHS (Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätssyndrom), Restless-Legs Syndrom (Ruhelosigkeit der Beine), Nachtinkontinenz, Angststörungen, Schlafstörungen oder Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten leiden, welche die Behandlung zusätzlich erschweren.

Diagnose & Therapie

Die Diagnose wird durch Fragebögen und bildgebende Verfahren (Elektroencephalogramm oder Computertomographie) gestellt, weiters müssen andere Erkrankungen, wie Chorea Huntington (eine neurologische Erkrankung, bei der Bewegungsstörungen und psychische Symptome auftreten) oder ein Schlaganfall (verminderte Blut- und somit Sauerstoffversorgung des Gehirns) ausgeschlossen werden.

Therapiert wird wegen der unangenehmen Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Depressionen, Gewichtszunahme, motorische Störungen oder verminderte Libido nur in schweren Fällen mit Psychopharmaka (Neuroleptika).

Bei mäßigen Beschwerden wird in vielen Fällen eine Verhaltenstherapie erfolgreich eingesetzt, um die Tics besser in den Griff zu kriegen.

Auch eine medikamentöse Behandlung kann die Tics nur in den seltensten Fällen komplett unterdrücken. Die entsprechenden Medikamente sollen aber die Tics soweit lindern, dass die Betroffenen nicht an permanenter Erschöpfung leiden und dass psychosoziale Beeinträchtigungen vermindert werden. Sie sollen also den Patienten die Eingliederung in das soziale Leben erleichtern und gleichzeitig ihr allgemeines Wohlbefinden steigern.

Bei der medikamentösen Therapie werden Medikamente wie Haldol©, Zyprexa©, Risperdal©, Dogmatil© oder Tiapridex© verschrieben.¹ Neben einer medikamentösen Therapie werden auch pädagogische Betreuung, Entspannungstechniken, Verhaltenstherapie oder Musiktherapie eingesetzt.

Studien mit THC, der Wirkstoff von Cannabis, zeigen, dass auch hiermit eine Reduktion der Tics erzielt werden kann. Bei Kindern ist vom Cannabisgebrauch abzuraten, da dieser später eine Auswirkung auf Konzentration und Aufmerksamkeit haben kann. THC kann als Wirkstoff von Ärzten verschrieben werden, was aber sehr teuer ist.

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[Verfasst 05/2008; Update 07/2020]

Quelle:

¹ Österreichischen Tourette Gesellschaft

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Linktipps

– Was ist Neurologie?
– Neuroimaging – Bilder aus dem Gehirn
– Was ist eine Psychose?
– Wundermittel Hanf: vom Rausch- zum Arzneimittel
– Genmedizin – wie weit kann sie uns helfen?
– Tourette-Gesellschaft Deutschland e.V.

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