Was sind Stumpf- und Phantomschmerzen?

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Stumpf- und Phantomschmerzen

Nahezu alle Amputierten erleben sogenannte Phantomschmerzen, eigentlich Phantomsensationen. Dabei handelt es sich um Empfindungen im nicht mehr vorhandenen Körperteil, die zwar nicht unbedingt schmerzhaft sind, aber sehr unangenehm sein können. So erleben Patienten zum Beispiel Berührungen, Hitze- oder Kälteempfindungen, Druck oder auch Jucken im abgetrennten Körperteil. Manchmal werden auch Bewegungen gespürt, die zum Teil beeinflussbar erscheinen. Einige Patienten glauben, das Körperteil wachsen oder schrumpfen zu spüren.


Stumpf- und Phantomschmerzen? – Artikelübersicht:

Was versteht man unter Stumpf- und Phantomschmerzen?

Unter Stumpfschmerzen versteht man Schmerzen im Bereich des Amputationsstumpfes. Sie können spontan oder nach dem Anpassen einer Prothese auftreten. Der Schmerzcharakter kann ganz unterschiedlich sein. Zunächst ist er meist dumpf bohrend oder punktförmig stechend, später auch brennend oder attackenförmig einschießend. Überwiegend handelt es sich jedoch um einen Dauerschmerz. Er tritt mit einer Häufigkeit von etwa 60 Prozent nach Amputationen auf.

Von Phantomschmerzen spricht man, wenn Schmerzen scheinbar aus dem Körperteil kommen, das amputiert wurde. Bis zu drei Viertel aller Patienten, denen eine Gliedmaße amputiert wurde, leiden anschließend an Phantomschmerzen. Das Gehirn empfängt immer noch Signale aus den Nerven, die früher für diesen Körperteil zuständig waren. Die Schmerzen können brennenden, stechenden oder elektrisch einschießenden Charakter besitzen. Häufig sind die Schmerzen nachts stärker als am Tage. Betroffene stoßen in ihrer Umgebung oft auf Unverständnis, da Außenstehende sich nicht vorstellen können, dass Gliedmaßen schmerzen, die nicht mehr vorhanden sind. Häufig werden die Beschwerden aus diesem Grund verheimlicht.

Phantomschmerzen oder Phantomsensationen sind besonders häufig nach Amputationen von Beinen oder Armen, können aber auch in anderen Körperregionen empfunden werden, zum Beispiel nach der Entfernung einer Brust oder nach Enddarm-Operationen. Auch nach dem Ziehen von Zähnen können Phantomschmerzen auftreten.

Wie entstehen Stumpf- und Phantomschmerzen?

Für Stumpfschmerzen können zumeist Wundheilungsstörungen oder andere Prozesse direkt im Stumpf verantwortlich gemacht werden. Auch Druckstellen durch eine schlecht sitzende Prothese, Entzündungen wie z. B. Eiteransammlungen unter der Haut (Abszesse) oder Knochenmarkentzündungen können Stumpfscherzen hervorrufen. Bei zwei von zehn Patienten entwickeln sich nach der Amputation gutartige Wucherungen der durchtrennten Nerven (Neurinome), die ebenfalls Schmerzen auslösen können. In manchen Fällen sind auch Durchblutungsstörungen im Stumpf die Ursache von Stumpf- oder Phantomschmerzen.

Die Entstehung eines Phantomschmerzes oder eines Phantomerlebnisses ist noch nicht endgültig geklärt. Neben der Schädigung der Nerven durch das Durchtrennen bei der Operation werden auch Veränderungen in der Verarbeitung der (Schmerz-) Reize im Gehirn verantwortlich gemacht. Schließlich wird der amputierte Körperteil im Gehirn immer noch abgebildet. Typisch ist das Empfinden von Schmerzen, die bereits vor der Amputation vorgelegen haben, z. B. aufgrund von Durchblutungsstörungen, Tumoren, Entzündungen oder Unfallverletzungen. Der Schmerz muss also in einem eigenen so genannten Schmerzgedächtnis in bestimmten Gehirn- und Rückenmarkregionen abgespeichert worden sein.

Auch das vegetative Nervensystem kann an Schmerzen beteiligt sein. Darunter versteht man den Teil des Nervensystems, der ohne unser Wissen und ohne unseren Einfluss automatische Körperfunktionen wie Kreislauf, Atmung und Verdauung steuert. Nach einer Durchtrennung von schmerzleitenden Nerven bei einer Amputation kann dieses vegetative Nervensystem die Rolle der Schmerzvermittlung übernehmen und sowohl bei Stumpf- als auch bei Phantomschmerzen eine schmerzverstärkende Rolle spielen.

Bei etwa der Hälfte der Patienten lassen sich Phantomschmerzen durch äußere Einflussfaktoren wie z. B. einen Wetterwechsel oder Aufregung und Stress auslösen.

Es muss immer daran gedacht werden, dass scheinbare Phantomschmerzen auch durch andere Erkrankungen hervorgerufen werden können, die nicht mit der Amputation in Verbindung stehen. In diesem Fall spricht man von sekundären Phantomschmerzen. An diese Tatsache sollte man insbesondere dann denken, wenn ein Phantomschmerz sich verändert, unerwartet stärker wird oder nach vorübergehender Schmerzfreiheit erneut auftritt. So können Schmerzen zum Beispiel im Rahmen eines Bandscheibenvorfalls in den Stumpf oder das Phantombein ausstrahlen. Durch eine Fehlbelastung beim Laufen mit der Prothese oder mit Gehstützen sind Bandscheibenvorfälle oder schmerzhafte Wirbelsäulenveränderungen bei Patienten nach Beinamputation recht häufig.

Welche Untersuchungen werden durchgeführt?

Die Erhebung der Krankengeschichte sowie die neurologische Untersuchung liefern Hinweise zur Abgrenzung anderer Schmerzen. Bei der körperlichen Untersuchung wird der Stumpf gezielt auf Druckstellen, Narbenzüge, Knoten und Schmerzpunkte untersucht. Die Hauttemperatur kann Hinweise auf Durchblutungsstörungen im Bereich des Stumpfes, Entzündungen oder eine Beteiligung des vegetativen Nervensystems geben.

Weiterhin können Blutuntersuchungen wichtige Informationen liefern. Bei Verdacht auf ein Neurinom müssen manchmal Schichtaufnahmen des Stumpfes durchgeführt werden (Computertomografie oder Kernspintomografie).

Zur Abklärung von Schmerzen, die durch Rückenprobleme ausgelöst werden, ist manchmal die Untersuchung durch einen Orthopäden und gegebenenfalls die Anfertigung von Röntgenaufnahmen und Schichtaufnahmen der Wirbelsäule notwendig.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Die Behandlung von Phantomschmerzen ist schwierig. Es gibt keine Therapieform, die bei allen Betroffenen gleichermaßen wirksam ist. Oft müssen verschiedene Medikamente oder nichtmedikamentöse Behandlungsformen miteinander kombiniert werden, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelangen. Eine komplette Schmerzfreiheit kann nicht immer erreicht werden.

Da heute davon ausgegangen wird, dass Schmerz in einer Art Schmerzgedächtnis gespeichert wird, kann eventuell bereits vor einer geplanten Amputation eine geeignete Schmerztherapie das Entstehen von Phantomschmerzen reduzieren oder verhindern.

Schmerzmedikamente

Frei verkäufliche Schmerzmedikamente sind bei Phantomschmerzen häufig nicht wirksam. In vielen Fällen müssen Opioide verordnet werden. Das sind Schmerzmittel, die mit dem Morphium verwandt sind.

Diese Medikamente können zu Beginn der Behandlung Nebenwirkungen wie z. B. Übelkeit hervorrufen. Die häufigste Nebenwirkung ist Verstopfung, die oft mit milden Abführmitteln auf Milchzuckerbasis behandelt werden kann.

Viele Patienten fürchten, dass diese Medikamente süchtig machen könnten. Bei medizinisch notwendiger und kontrollierter Einnahme besteht jedoch keine Suchtgefahr. Bei richtiger Dosierung erzeugen die Opioide keine euphorischen Glücksgefühle, die für die Suchtentstehung verantwortlich gemacht werden, sondern dienen nur der Schmerzbekämpfung.

Eine Kombination mit anderen Medikamenten kann die Wirkung der Schmerzmedikamente steigern oder ergänzen, ohne dass sie selbst Schmerzmittel sind. Solche Medikamente sind zum Beispiel Mittel, die gegen Depressionen oder Epilepsie eingesetzt werden. Diese verändern entweder die Schmerzschwelle im Schmerzzentrum im Gehirn, oder sie verlangsamen die Schmerzweiterleitung. Durch den Einsatz dieser Medikamente lässt sich die Menge der Schmerzmittel oft reduzieren. Auf keinen Fall bedeutet der Einsatz solcher Präparate, dass die Schmerzen psychisch ausgelöst sind oder dass der Patient sie sich einbildet.

Bei drei von vier Patienten lassen sich die Schmerzen durch den Wirkstoff Calcitonin reduzieren. Calcitonin ist ein natürliches Hormon der Schilddrüse und wirkt auf den Knochenstoffwechsel. Die genaue Wirkung auf Phantomschmerzen ist bislang nicht klar. Je früher die Therapie nach der Amputation begonnen wird, desto besser sind die Ergebnisse. Typische Nebenwirkungen von Calcitonin sind Hitzewallungen, Übelkeit und Kreislaufprobleme. Auch allergische Reaktionen können auftreten.

Wie wirksam sind operative Therapieversuche?

Während bei Stumpfschmerzen eine gute operative Versorgung des Stumpfes die Ursachen der Schmerzen beheben kann, sprechen Phantomschmerzen meist nicht auf operative Therapien an. Eine erneute Operation des Stumpfes sollte daher nur bei Patienten durchgeführt werden, die über Stumpfschmerzen klagen und eine Entzündung oder eine operable Durchblutungsstörung des Stumpfes aufweisen.

Was kann man selbst tun?

Das Erlernen von Stressbewältigungsverfahren oder aktiven Übungen zur gezielten Muskelentspannung kann einen günstigen Einfluss auf das Schmerzgeschehen haben. Diese Techniken führen zu geistiger Entspannung und zu einer Verminderung der Spannung in der Muskulatur. Besonders hilfreich sind diese Verfahren, wenn ein Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und Phantomschmerz besteht.

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Quelle:

¹ Phantomschmerzen (researchgate.net)

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