Pestizide, Geschmacksverstärker & Konservierungsstoffe ohne Ende

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Pestizide in der modernen Landwirtschaft

Ein Versuch unserer Redaktion zeigt, was wir schon lange vermutet haben: ohne künstliche Lebensmittelzusätze geht im Nahrungsmittelbereich offensichtlich gar nichts mehr. Farbstoffe, Geschmacksverstärker und Konservierungsmittel wohin das Konsumentenauge reicht. Längst beschränkt sich der Einsatz nicht allein auf Fertigprodukte, auch Fleisch- und Wurstwaren, Brot und Gebäck, ja selbst Obst und Gemüse sind betroffen. Aber schuld an der Misere sind nicht etwa “die da oben”, denn im Handel hat nach wie vor der Konsument das letzte Wort. Typischer Fall von “selber schuld” also.


Polemik? Nun, betrachten wir die Situation im Detail: Ein Lokalaugenschein bei einem Lebensmitteldiskonter ergab, dass kein einziges Fleisch- oder Wursterzeugnis ohne künstliche Zusatzstoffe zu erwerben ist.

Leider kein Einzelfall, ganz im Gegenteil: Aufmerksame Konsumenten überrascht es vielleicht nicht mehr, dass abgepackte Wurstwaren nur so von Stabilisatoren, Antioxidationsmitteln, Geschmacksverstärkern und Konservierungsmittel strotzen, dass wir dann aber in Fleischregalen Surstelzen finden, die voll von E452 (Polyphosphate, Eiweißlöser), E250 (Natriumnitrit, Konservierungsstoff) und E301 (Natrium-L-Ascorbat, Stabilisator, Antioxidationsmittel) sind, stimmt traurig. Schließlich wurde das Suren und Räuchern zum Konservieren von Lebensmitteln entwickelt. Ein künstliches Konservierungsmittel in einem “natürlich” konservierten Produkt (Sur-Braten)?

Sie sehen, es läuft einiges verkehrt. Da muss man nicht extra die (wahre) Geschichte der deutschen (oder niederländischen, oder ….) Kartoffeln erwähnen, die zum Waschen nach Spanien (oder Portugal, oder …) durch halb Europa gekarrt werden, nur um dann billiger als heimische Erdäpfel (Kartoffel) im Supermarktregal zu landen.

Wir vergleichen Äpfel mit Birnen? Was haben Produktion und Logistik von Lebensmitteln mit Inhaltsstoffen zu tun? Eine ganze Menge, fürchten wir. Denn nur mit besonders haltbaren Lebensmitteln lassen sich oben erwähnte Unterfangen überhaupt erst realisieren (und fette Gewinne machen).

Erdbeeriger als Erdbeeren – even better than the real thing

Pralle Äpfel mit glänzender Haut und regelmäßigem Körper, saftig rote Erdbeeren in Pflaumengröße, Beispiele gibt es viele. Die Konsumenten von heute – also wir alle – erwarten das Unmögliche: optisch ansprechende, gesunde Lebensmittel, die ewig haltbar sind. Eigentlich sollte einem der Hausverstand sagen, dass sich das so nicht ausgehen kann.

Erinnern wir uns: Früher waren etwa Paradeiser (Tomaten) nur während der Sommersaison auf den Märkten und im Supermarkt zu haben. Und wer den Verzehr länger als zwei, drei Tage aufgeschoben hat, stand vor vollends verfaulten Tatsachen. Mikroorganismen sorgen nun einmal in einem natürlichen Prozess für Fäulnis und Verfall. Heute? Tomaten sind das gesamte Jahr über zu bekommen, je nach Jahreszeit aus Italien, Spanien, Marokko, Israel. Und das Beste überhaupt: erst nach vier Wochen werden sie – wenn überhaupt – weich. Prall und rot sind sie sowieso, leider halt gänzlich ohne (typischen) Geschmack, dafür sorgt das ins Erbgut eingeschleuste “Anti-Fäulnis-Gen” (oder die keimtötende Gammabestrahlung) für nahezu unglaubliche Haltbarkeit.

Sie erinnern sich nicht? Dann sind Sie wohl zu jung, und das ist sogar noch besser für die Wirtschaft. Denn dann wissen Sie es ja nicht besser. Vollendete Tatsachen und so. Alles klar?

Globalisierungskritik, Jammerlappen und Nahrungsmittelallergien

Sie meinen das “Früher war alles besser-Gejammere” nervt? Da haben Sie Recht, und es wäre einfach zu belegen, dass etwa aus hygienischer Sicht früher ganz bestimmt nicht alles besser war. Und trotzdem ist die jetzige Situation unbefriedigend. Die Zahl der Menschen mit Allergien steigt kontinuierlich, auch Lebensmittelunverträglichkeiten nehmen beständig zu. Und der (gute) Geschmack bleibt auf der Strecke.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Alle auf dem Markt befindlichen Lebensmittelzusatzstoffe in Österreich gelten als unbedenklich. Doch das Wort “unbedenklich” gaukelt eine trügerische Sicherheit vor, denn der Nachweis von Unbedenklichkeit hängt natürlich auch vom Beobachtungszeitraum ab.

Um es konkret zu machen: Das oben erwähnte Natriumnitrit (E250) ist das Natriumsalz der Salpetrigen Säure und wird – wie Kaliumnitrit (E 249) – ausschließlich in Nitritpökelsalz eingesetzt. Aus Nitrit entstehen im Zusammenspiel mit Eiweißbausteinen (Aminen) so genannte Nitrosamine. Sie zählen zu den stark krebserregenden Stoffen und zeigten sich im Tierversuch als schädlich für Leber und Erbgut. Die chemische Umwandlung von Nitrat über Nitrit zu Nitrosaminen findet zum Beispiel beim Braten oder Grillen gepökelten Fleisches statt. Aus diesem Grund wird davon abgeraten.¹

Außerdem wirken Nitrite blutdrucksenkend und gefäßerweiternd. Sie verändern den roten Blutfarbstoff Hämoglobin, der dann keinen Sauerstoff mehr transportieren kann. In Mengen ab etwa 0,5 g sind Nitrite akut giftig (ADI-Wert²: 0,06 mg/kg Körpergewicht – bezogen auf das Nitrit-Ion). Erwachsene Menschen verfügen über ein Enzym, das den veränderten roten Blutfarbstoff schnell wieder in das sauerstofftransportierende Hämoglobin umwandelt. Im Blut von Säuglingen ist der rote Blutfarbstoff durch Nitrit aber besonders leicht zu verändern. Zusätzlich ist das helfende Enzym bei Kindern unter sechs Monaten noch nicht voll verfügbar. Daher kann Nitrit – vor allem aus nitratreichem Wasser oder Gemüse (z. B. Spinat) – bei ihnen zu innerem Ersticken führen.³ Natürlich immer vorausgesetzt, die jeweilige Dosis wird überschritten.

Sehen Sie, was wir meinen? Wer weiß schon wirklich über die Inhaltsstoffe Bescheid?

Derzeit sind von der EU ca. 300 Substanzen genehmigt, um Geschmack, Konsistenz, Aussehen und Haltbarkeit eines Produktes zu optimieren. Jeder dieser Substanzen wird eine sogenannte E-Nummer zugewiesen. Viele davon sind vollkommen harmlos und auch natürlich zu gewinnen, andere stehen aber im Verdacht, allergische Reaktionen, Arterienverkalkung, Knochenschäden oder gar Krebs auszulösen. Beispiele gibt es genug, auch an seriösen wissenschaftlichen Untersuchungen mangelt es nicht, doch bei den meisten Stoffen fehlt es an den entscheidenden Langzeittests. Erst diese können wirklich über das Gefahrenpotenzial eines Zusatzstoffes Auskunft geben.

Zu allem Überdruss gesellen sich dazu noch bekanntermaßen krankheitserregende Stoffe, die etwa zur Schädlingsbekämpfung auf Obst und/oder Gemüse verteilt werden. Uns sind Warnungen von Umweltorganisationen über Pestizide im Gemüse noch in lebhafter Erinnerung. Auf Gemüse, gesundem Gemüse!

Bio als Hoffnung?

Eigentlich werden all die Zusatzstoffe nicht gebraucht, doch die modernen Lebensumstände und ein gerüttelt Maß an scheinheiliger Naivität seitens der Konsumenten waren ein guter Nährboden für eine lebensmitteltechnologische Entwicklung, die wohl nicht mehr zu stoppen sein wird. Grundsätzlich wäre daran auch nichts auszusetzen, so lange Auflagen eingehalten werden und Inhaltsstoffe sowie Wirkungsweisen für den Konsumenten transparent sind. Dazu gesellt sich aber auch noch die absolute Notwendigkeit einer Wahlfreiheit für den Konsumenten.

Das heißt, dass die Möglichkeit zum Kauf “natürlicher”, biologischer Lebensmittel gewährleistet sein muss – gerade diese Wahlfreiheit scheint aber im Rahmen massenindustrieller Fertigung immer mehr in Gefahr. Es wird für den Konsumenten immer schwieriger, sich auf Angaben der Produzenten verlassen zu können, da selbst diese über den Ursprung und die Zusammensetzung einzelner Bestandteile nicht mehr Bescheid wissen (können) – Schlagwort Gentechnologie.

Es gibt jedoch Grund zur Hoffnung: Immer mehr Einzelhandelsketten erweitern ihr Sortiment – nicht zuletzt aufgrund ständig steigender Nachfrage – um qualitativ hochwertige Bio-Produkte. “Bio” bedeutet gesunde, hochwertige und wohlschmeckende Lebensmittel, die keine Reste von Spritzmitteln oder Antibiotika enthalten. Hochwertige Biolebensmittel verwöhnen den Feinschmeckergaumen mit unverfälschtem, natürlichem Geschmack, denn künstliche Aromen oder synthetische Süßstoffe sind bei der Verarbeitung von Biolebensmitteln verboten.

Biolebensmittel werden in Österreich nach strengsten Richtlinien kontrolliert. Alle Betriebe, die Biolebensmittel erzeugen, verarbeiten oder importieren, müssen sich mindestens einmal pro Jahr von einer unabhängigen, staatlich autorisierten Prüfstelle überprüfen lassen. Lediglich die Vielzahl unterschiedlicher Gütesiegel und Marken trägt nicht gerade zu einer verbesserten Konsumenteninformation bei. Das österreichische AMA-Gütesiegel etwa wird oft für ein Bio-Zertifikat gehalten, obwohl es keines ist.

Dabei sind “echte” Bio-Lebensmittel mühelos erkennbar: Auf der Verpackung muss das einheitliche EU-Bio-Logo angebracht sein. EU-Bio-Logo Dabei handelt es sich um ein Blatt aus weißen Sternen auf grünem Hintergrund. Neben diesem EU-Label muss angegeben werden, ob es sich um ein Bio-Produkt aus europäischer Landwirtschaft oder nicht-europäischer Landwirtschaft handelt. Stammen sämtliche Rohstoffe aus einem einzigen Land, wird dieses als zusätzliche Herkunftsangabe angeführt.

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¹ und ³ Quelle: Die Verbraucher Initiative e.V. – www.zusatzstoffe-online.de
² ADI-Wert: Der ADI-Wert (Acceptable Daily Intake) beziffert die tägliche Aufnahmemenge von Fremdstoffen in Lebensmitteln, die ein Mensch lebenslänglich täglich verzehren kann, ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen. Der ADI-Wert wird in Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht angegeben und bezieht sich etwa auf Zusatzstoffe oder Rückstände von Pflanzenschutzmitteln. Verantwortlich für die Festsetzung eines ADI-Wertes sind internationale Expertengremien, etwa die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der gemeinsame Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe der WHO/FAO (JECFA).

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Linktipps

– Bio-Lebensmittel: Lebensmittelexpertin Lehner im Interview
– Infoportal der Biobäuerinnen und Biobauern – Österreich (inkl. Bio-Shopping)
– Glutamat – smarter Geschmacksverstärker oder böses Nervengift?
– Lebensmittelkennzeichnung: Inhaltsstoffe verstehen
– Biolebensmittel: Basisinformationen & Bezugsquellen
– Ernährungsirrtümer
– Mineralöl in Lebensmitteln
– Lexikon der Ernährung

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