Was ist Ayurveda?
Ayurveda ist die Bezeichnung einer etwa fünftausend Jahre alten Gesundheitslehre, die aus dem Gebiet am Fuße des Himalayas stammt.
Die zahlreiche Heil- und Diagnoseverfahren beinhaltende Lehre ist nicht nur in Indien und angrenzenden Ländern tief verwurzelt, auch in den Industriestaaten hat diese ganzheitliche Form der Medizin zahlreiche Anhänger und wird als komplementäre Methode von einer Reihe von Medizinern gefördert.
Geschichte und Konzept
Ayurveda ist ein Diagnose- und Behandlungssystem, das der altindischen Weltanschauung entstammt und u. a. Behandlungsmethoden wie Diäten, ausleitende Verfahren oder Meditation umfasst. Das Wort Ayurveda bedeutet, wörtlich aus dem Sanskrit übersetzt, „Wissen vom langen Leben“.
Die Heilverfahren sind bereits in den vedischen Schriften, in denen das Jahrtausende alte Wissen der alten indischen Hochkultur überliefert wurde, erwähnt und werden seit etwa 2500 vor unserer Zeitrechnung angewandt.
In Europa hatte Ayurveda in der Zeit von Hippokrates von Kos (460 – 377 v. Chr.), dem großen Medizinmann der Antike, eine nicht unwesentliche Bedeutung. Vom Gründer der griechischen Heilkunde ist überliefert, dass er hauptsächlich mit den Mitteln der ayurvedischen Medizin arbeitete.
Im heutigen Europa wird von Ärzten oder Heilpraktikern vorrangig der Maharishi-Ayur-Veda angewendet. Ayurveda soll „göttlichen Ursprungs“ sein und sucht, neben der Erhaltung der Gesundheit, nach dem tieferen Sinn des Lebens. Im Vordergrund steht ein bestimmtes Bild vom Kranksein: Krankheiten drängen nach Ayurveda-Lehre von außen in den Körper ein, und aufgrund dessen spiele die Reinhaltung der Körperöffnungen eine zentrale Rolle.
Dementsprechend kommen Maßnahmen zur Vorbeugung und Hygiene höchste Bedeutung zu. Ayurveda beinhaltet jedoch auch Diagnose- und Therapieverfahren und eine Medikamentenlehre. Mehr als zwei Drittel der indischen Bevölkerung wird heute mit Ayurveda-Medizin behandelt.
Ayurveda unterscheidet, ähnlich wie die Schulmedizin, verschiedene Fachgebiete: Innere Medizin, Frauen- und Kinderheilkunde, Hals-, Nasen-, Ohren- und Augenheilkunde, Psychiatrie, Chirurgie, Sexualmedizin und die Lehre von den Vergiftungen.
Diagnose nach den fünf Elementen
Die Grundlage dieser Lehre bildet die „Tridosha“, das Konzept der drei Doshas Vata, Pitta und Kapha, die sich aus den fünf kosmischen Naturelementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum ableiten und miteinander sämtliche Funktionen und Abläufe des menschlichen Organismus und der Psyche bestimmen. Die drei Doshas – man könnte auch „Temperamente“ dazu sagen – sind für die Grundeigenschaften und die „Konstitution“ des einzelnen Menschen verantwortlich.
Ihr Zusammenspiel bestimmt über seine Stärken und Schwächen, seine Krankheitsanfälligkeit, die Wechselwirkung zwischen Organismus und Psyche sowie seine Reaktionen auf Ernährung, Arzneien, klimatische Einflüsse oder Sinneseindrücke. Die Doshas sind wechselseitig voneinander abhängig und müssen, um Erkrankungen zu verhindern, miteinander so weit wie möglich in Einklang gebracht werden.
Nach solch traditioneller Vorstellung zeichnet es einen gesunden Menschen aus, sein Lebenskonzept und die Beziehung zu seiner Umwelt in einer stabilen Balance zu halten. Ist dieses Gleichgewicht gestört, sendet der Körper „Signale“ aus. Werden diese ignoriert, entwickeln sich Krankheitssymptome.
Dominiert ein Dosha die anderen oder ist es krankhaft geschwächt, so komme es vor allem zu schädlichen Ablagerungen von Giftstoffen und „Schlacken“ („Ama“). Die daraus resultierenden Beschwerden sollen durch entsprechende Gegenmaßnahmen ausgeglichen werden. Zu Behandlungsbeginn wollen Ayurveda-Ärzte mittels Riechen, Sehen, Hören, Fragen und Tasten sowohl das Wesen der Erkrankung als auch die „Natur“ des Patienten diagnostizieren:
- Eine eigene Pulsdiagnose, die der Arzt mit drei Fingern durchführt, soll Hinweise auf den Zustand und die Konstellation der Doshas geben.
- Eine „Prakriti“-Analyse soll Aufschluss über die Besonderheiten des Behandelten geben. Die Prakriti ist gleichsam die „Ursubstanz“ des Menschen und bestimmt sich u. a. durch astrologische Konstellationen sowie die Umstände der Zeugung und der Schwangerschaft. Sie kann während des Lebens nicht beeinflusst werden.
Behandlungsmethoden
Um die in „Dysbalance“ befindlichen Doshas wieder zu harmonisieren, werden unter anderem Fastenkuren, Ölmassagen, Bäder, ausleitende Verfahren wie Erbrechen, Einläufe oder Aderlass, verschiedene Meditationsformen wie Yoga oder transzendentale Meditation sowie Farb-, Musik- und Aromatherapie angewandt.
Außerdem setzt der Ayurveda rund 5000 Pflanzen in unterschiedlichen Zubereitungsformen – häufig kombiniert mit Mineralien und Metallen – ein. Mehrere tausend Substanzen in Obst, Gemüse, Kartoffeln und Vollkornprodukten, meist der Gruppe der sogenannten sekundären Pflanzenstoffe zuzurechnen, sollen dabei u. a. krebs- und entzündungshemmend, verdauungsfördernd, blutdrucksendend und antioxidativ wirken.
Inzwischen versuchen Pharmakonzerne mit großem Aufwand, indische Heilpflanzen pharmakologisch zu untersuchen, um einzelne Wirkstoffe oder Wirkstoffkomplexe zu isolieren und zu vermarkten. Von solchen Versuchen der wirtschaftlichen Nutzbarmachung abgesehen, sind jedoch kaum Berührungspunkte zwischen ayurvedischen Gesundheits- und Krankheitskonzepten und den Vorstellungen der Schulmedizin vorhanden.
Anwendungsgebiete
Wenn auch Ayurveda nach Ansicht zahlreicher danach handelnder Therapeuten bei so gut wie allen Krankheiten und Beschwerden wirksam sein soll, überlassen doch viele Ayurveda-Ärzte die Behandlung schwerer akuter oder psychischer Erkrankungen der Schulmedizin.
Demgemäß kommt die Ayurveda-Heilkunst in Mitteleuropa zumeist bei psychosomatisch bedingten chronischen Leiden und in der Frühbehandlung von Befindlichkeitsstörungen zum Einsatz. Bei solchen Behandlungen wird versucht, dysharmonische Doshas wieder ins Gleichgewicht zu bringen und damit den Beschwerden die Grundlage und die antreibende Kraft zu entziehen.
Im Bereich der Präventivmedizin konnten Erfolge ayurvedischer Methoden bereits durch seriöse wissenschaftliche Studien nachgewiesen werden. In einer Untersuchung in den USA wurden über 5 Jahre Ayurveda praktizierende Personen mit der Gesamtbevölkerung verglichen.
Es zeigte sich, dass jene, die bestimmte Ayurveda-Programme regelmäßig ausübten, um 56 % weniger Krankenhauseinweisungen zu verzeichnen hatten, wobei überdies deutlich geringere Einweisungen bei den häufigsten 20 Krankheitsarten feststellbar waren – etwa ein Rückgang um 87 % bei Herz-Kreislauferkrankungen, um 55 % bei malignen Tumorerkrankungen, um 87 % bei neurologischen Erkrankungen und um 73 % bei HNO- und pulmologischen Erkrankungen.
Mit zunehmendem Alter konnte bei der meditierenden Gruppe im Vergleich zu den Durchschnittswerten der jeweils gleichen Altergruppe ein geringerer Bedarf an medizinischer Versorgung festgestellt werden. Der Rückgang lag bei der Altersgruppe der Personen über 40 Jahre bei 67 %¹.
Shirodhara: der Stirnölguss im Ayurveda
Exkurs: Der Stirnguss mit Öl ist die wohl bekannteste Anwendung und aus dem Ayurveda kaum wegzudenken. Es handelt sich dabei um eine Ölanwendung, bei der mit Kräutern vermischtes erwärmtes Öl in einem kontinuierlichen Strahl aus etwa 8 bis 10 cm Höhe auf den Kopf und hier ganz besonders auf die Stirn des Patienten fließt. Die Anwendung erfolgt meist nach einer Gesichts- und Kopfmassage und dauert etwa 20-30 Minuten. Ziel dieser Anwendung ist das Erreichen eines tiefen Entspannungszustandes, bei dem sich ein angenehmes Wohlbefinden und innere Ruhe einstellen soll.
Im Ayurveda wird der Stirnguss unter anderem bei neurovegetativen Störungen, bei Bewegungsstörungen (etwa Morbus Parkinson), chronischen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Stress und Depressionen eingesetzt. Ayurveda-Ärzte weisen darauf hin, dass der Stirnölguss wegen seiner blutdrucksenkenden Wirkung bei Patienten mit niedrigem Blutdruck, schwachem Kreislauf und während der Menstruation nicht angewendet werden soll.
Belege für die Wirksamkeit
Anhänger der Schulmedizin betonen, fehlende klinische Belege für die Wirksamkeit ayurvedischer Diagnose- und Heilverfahren würden in keinster Weise gesicherte Empfehlungen bezüglich der Wirksamkeit bei einzelnen Krankheiten und Beschwerden erlauben. Allerdings steht die pharmakologische Erforschung der Ayurveda-Arzneien erst am Anfang, und es liegen immerhin zahlreiche Indizien für die Wirksamkeit einiger ayurvedischer Substanzen vor.
Ganz anders sehen dies die Vertreter des Ayurveda wie die Maharishi Ayur-Veda-Organisation, die den „Ayur-Veda in seiner Ganzheit wiederzubeleben“ trachtet. Von dieser Organisation präsentierte Untersuchungsergebnisse deuten auf eine Wirksamkeit traditioneller indischer Arzneien unter anderem bei hohen Cholesterinwerten, Bluthochdruck², Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen, Asthma, Verdauungsstörungen, Migräne, rheumatischen Erkrankungen oder Lähmungen hin.
Diese Behauptungen wurden mittlerweile durch kontrollierte klinische Studien untersucht und teilweise auch belegt³. Dennoch bleibt die Wirksamkeit in Fachkreisen überaus umstritten.
Behandlungen nach Ayurveda – ein Risiko?
Die Behandlung nach ayurvedischen Methoden kann je nach Beschwerden auch jahre- oder lebenslang dauern. Ein seriöser Therapeut behandelt, zumindest bei schwerwiegenden Erkrankungen, keinesfalls ohne eine schulmedizinische Diagnose der Beschwerden und verspricht niemals umgehende totale Heilung. Bei der Therapeutenauswahl sollte auf jeden Fall darauf Bedacht genommen werden, dass Ayurveda nicht als alleinige Therapie bei hartnäckigen Beschwerden herangezogen wird.
Nach schulmedizinischen Kriterien ist Ayurveda als Behandlungsform schwerer Erkrankungen generell abzulehnen, weil seine Wirksamkeit nicht belegt sei. Wer nur auf die Ayurveda-Diagnostik vertraut, so Schulmediziner, riskiere, dass gefährliche Leiden übersehen werden und eine angemessene Behandlung möglicherweise verabsäumt wird.
Auch wird von Kritikern bemängelt, ayurvedische Medikamentenmischungen enthielten nicht selten erhebliche Mengen an Unreinheiten wie Quecksilber oder anderen Schwermetallen.
Unabhängig von den Warnungen der Schulmediziner ist für viele Patienten eine derart spirituell unterlegte Herangehensweise nur schwer nachvollziehbar, da sich diese doch sehr stark von der abendländischen Denkweise unterscheidet.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Gedankenwelt des Ayurveda seit seiner Entstehung kaum verändert hat und somit noch schwerer in unseren Kulturkreis übertragbar ist. Dennoch haben zahlreiche ayurvedische Vorstellungen zur Entwicklung der modernen, psychosomatische Ursachen einbeziehenden, Vorsorgemedizin beigetragen.
Quellen:
¹ Orme-Johnson, Psychosomatic Medicine 49 (1987): 493-507
² American Journal of Hypertension, March 2008; Volume 21:310-316
³ Development of Ayurveda – Tradition to trend (Mukherjee PK1, Harwansh RK et al.;2017) DOI: 10.1016/j.jep.2016.09.024
Weiters: Wissenschaftliche Studien Ayurveda
Bearbeitung: März 2019
Informationsstellen:
Österreichische Gesellschaft für ayurvedische Medizin
Piaristengasse 1, 1080 Wien
www.ayurveda.at
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Linktipps
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