Antidepressiva auf dem Prüfstand

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Antidepressiva auf dem Prüfstand

Antidepressiva sind Medikamente, die mehr oder weniger direkt auf den Gehirnstoffwechsel einwirken. Sie zählen mittlerweile zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten weltweit. Allein in den heimischen Arztpraxen werden jährlich weit mehr als sechs Millionen Rezepte für Antidepressiva ausgestellt. Entsprechend viel investieren Pharmafirmen in diesem heiß umkämpften Segment in die Vermarktung ihrer Produkte. Dass manche Medikamente zur Therapie von Depressionen eine bessere Wirkung zeigen als andere, lässt sich allerdings nicht nachweisen, wie eine aktuelle Untersuchung der Donau-Universität Krems zeigt.


Depressionen werden bei immer mehr Menschen diagnostiziert und mit Medikamenten behandelt. Rund 400.000 Österreicher leiden unter Depressionen, über eine Million Packungen an Antidepressiva wurden laut Auskunft der Wiener Gebietskrankenkasse im Jahr 2007 allein den Versicherten in Wien verschrieben, Tendenz steigend. Ist Österreich also ein Land von Depressiven? Experten führen die steigenden Zahlen darauf zurück, dass Depressionen immer öfter als solche erkannt und entsprechend häufiger Antidepressiva verschrieben werden.

Einsatz von Antidepressiva

Die Medizin verfügt heute über eine breite Palette von Antidepressiva mit unterschiedlichen Wirkmechanismen. Bei der medikamentösen Therapie von Depressionen kommt heute eine Reihe von Antidepressiva der sogenannten zweiten Generation zum Einsatz. Im Unterschied zu früher gibt es heute für Patienten, die ein Präparat nicht vertragen, zahlreiche Alternativen.

Dennoch haben Medikamente, die auf die Psyche wirken, bis heute nicht den besten Ruf in der Bevölkerung. Der übertriebene, unzweckmäßige Einsatz von Beruhigungsmitteln (Tranquilizer) wie Ritalin (Methylphenidat), Valium (Diazepam), Prozac (Fluoxetin) oder Lexotanil (Bromazepam) ist tief im gesellschaftlichen Gedächtnis verankert. Zudem sind Patienten mit der Wirkungsweise und den möglichen Nebenwirkungen von Psychopharmaka oft nicht vertraut.

Dabei sind heutige Psychopharmaka insgesamt nebenwirkungsärmer und können gezielter eingesetzt werden als noch vor 20 Jahren. Heutige Präparate können die Wiederaufnahme von bestimmten Neurotransmittern im Nervensystem gezielt steuern (Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRI) und weisen dabei kaum Wechsel- oder Nebenwirkungen auf. Damit können leichte und mittelgradige Depressionen bei klarer Indikation heute auch von Hausärzten durchaus erfolgreich behandelt werden.

Moderne Antidepressiva

Das Angebot an modernen Antidepressiva ist groß. Das Spektrum umfasst selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI wie Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin), selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSNRI wie Duloxetin) und selektive Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI wie Desvenlafaxin, Mirtazapin, Venlafaxin). Darüber hinaus gibt es noch andere Substanzen wie Bupropion, Nefazodon und Trazodon.

Angesichts dieser Vielfalt können Ärzte schnell den Überblick verlieren. Selbst Experten fällt es schwer, Vor- und Nachteile der einzelnen Substanzen gegeneinander abzuwägen. Dieser Umstand macht die behandelnden Ärzte und Psychiater aber anfällig für die Botschaften der Pharmafirmen, deren Marketingmaßnahmen natürlich die Vorteile des eigenen Produktes hervorheben.

Antidepressiva im Vergleichstest

Im Rahmen einer großen systematischen Übersichtsarbeit der US Agency for Healthcare Research and Quality unter der Leitung von Prof. Dr. Gerald Gartlehner MPH von der Donau-Universität Krems wurde nun eine wissenschaftliche Untersuchung aller publizierten Studien der unterschiedlichen Produkte durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Wirksamkeit der Antidepressiva trotz großer Preisunterschiede sehr ähnlich und damit der Nutzen vergleichbar ist. Wenngleich es manche Unterschiede bei den Nebenwirkungen gibt.

Die aktuellen Ergebnisse basieren auf einer Analyse von 234 Studien, die wissenschaftliche Erkenntnisse zu den 13 am meisten verwendeten Antidepressiva der zweiten Generation beinhalten. „Die Pharmaindustrie wendet allein in den USA rund 400 Million US-Dollar pro Jahr zur Vermarktung von Antidepressiva auf. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass es keine wissenschaftlich belegte Berechtigung gibt, ein bestimmtes Medikament aufgrund der besseren Wirksamkeit zu bevorzugen“, erklärt Gartlehner.

Dennoch seien Antidepressiva nicht identisch, fügt der Mediziner hinzu. Unterschiede in der Zeit bis zum Ansprechen und in Nebenwirkungen könnten die Auswahl eines bestimmten Medikaments für den einzelnen Patienten beeinflussen.

Die Autoren betonen auch, die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren, da die meisten Studien an hoch-selektiven Patientengruppen durchgeführt worden seien, die nicht unbedingt repräsentativ für das Klientel der niedergelassenen Ärzte sein müssten. Die publizierten Vergleichsstudien sind damit nach Ansicht der Autoren nur begrenzt geeignet, die Überlegenheit oder Schwäche eines Wirkstoffes zu belegen.

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Quellen:

¹ Donau-Universität Krems
² Lexikon der Neurowissenschaft: Antidepressiva

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Linktipps

– Depressionen | Krankheitslexikon
– Depression und ihre Auswirkung auf den Körper
– Depressive Erkrankungen – Leitlinie vorgestellt
– Allheilmittel Psychopharmaka?
– Grapefruit beeinflusst Wirkung von Medikamenten
– Ritalin Konsum steigt weiterhin an – Diagnose AD(H)S als Hauptursache

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